Im Gespräch mit Doro Moritz

Mich verbindet mit Doro Moritz nicht nur dieselbe Berufswahl: Wir sind beide gelernte Grund- und Hauptschullehrer, sowie Mitglied in der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), deren Vorsitzende Doro Moritz bis Oktober 2020 zwölf Jahre lang war. In meiner Regierungszeit 2011 bis 2016 war ich mit ihr aber auch in regelmäßigem Austausch über die unterschiedlichsten Themen: von Schularten über Inklusion bis zur regionalen Schulentwicklung oder dem Lehrermangel. Bei vielen öffentlichen Veranstaltungen hat sich Doro Moritz immer sehr lobend über Andreas Stoch, SPD-Kultusminister von 2013 bis 2016, geäußert. Anders ist ihr Blick auf die derzeitige Landesregierung, der sie bereits im Oktober ein schlechtes Zeugnis ausgestellt hat. Und das nicht nur wegen Corona.

„Kultusministerin Dr. Eisenmann drückt der Bildungspolitik einen sehr konservativen Stempel auf und macht die positiven Entwicklungsschritte der grün/roten Landesregierung, soweit es die Fraktion der Grünen zulässt, rückgängig. Sie hat eine vermeintlich kleine strukturelle Veränderung vorgenommen, die große Wirkung hatte und massive Unruhe ausgelöst hat. Sie hat in der Orientierungsstufe der Realschule (Klasse 5/6) verpflichtend die Bewertung auf mittlerem Niveau eingeführt. Mit allen negativen Konsequenzen für die Motivation und den Lernerfolg der Schüler*innen.“

Zum Lehrermangel und Studien zum Lehrkräftebedarf bis 2030 in allen Schularten: „Mit den derzeitigen Studienplatzkapazitäten im Grundschullehramt und bei Sonderpädagogik kann bis 2030 nicht einmal der jetzige schlechte Stand der Unterrichtsversorgung gehalten werden.

Zum Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL):  „Nach mehr als 1,5 Jahren ist das ZSL nur eingeschränkt arbeitsfähig. Das Fortbildungsangebot ist heute deutlich schlechter als noch vor zwei Jahren, engagierte Expert*innen sind demotiviert.“

Die Grundschulen: „Schulpolitisch ist die Stärkung der Grundschule für mich das TOP-Thema. Die Grundschulen müssen deutlich mehr Ressourcen erhalten. Die Unterrichtsversorgung an den Grundschulen hat sich dramatisch verschlechtert. Vor zehn Jahren gab es noch einen spürbaren Ergänzungsbereich, aus dem Förderstunden, Klassenteilungen, LRS- und Dyskalkulie-Stunden, Sprachförderung und wertvolle Arbeitsgemeinschaften gebildet werden konnten. Alle weiterführenden Schulen haben 10 bis 20 Poolstunden je Zug in der Pflichtstundenzuweisung, über die sie verfügen können. Die Grundschule hat weiterhin keine Poolstunden. Der Ergänzungsbereich ist weg. Und Baden-Württemberg steht in der Lehrer-/Schüler-Relation in der Grundschule auf dem 16. Platz der 16 Bundesländer.

Studienplätze für Grundschullehramt schaffen und NC streichen: 14.485 Stellen müssen bis 2030/31 besetzt werden – nur um den unzureichenden Status Quo zu halten.“

„Für den Abbau von Bildungsbenachteiligung und für die Stärkung der Demokratie brauchen Schulen mehr Zeit, um Schule als Lern- und Lebensraum gestalten zu können.“

Doro Moritz, 21.10.2020

Zu Corona: „Die Lehrkräfte sind verunsichert: Der Unterricht in vollen Klassenzimmern ohne Einhaltung der Abstandsregel macht Angst. Die Aufgaben haben massiv zugenommen: Der Aufwand für Kommunikation innerhalb des Kollegiums, mit den Schüler*innen und den Eltern ist enorm gestiegen. Die organisatorischen Aufgaben und Auflagen zu Hygiene und Dokumentation sind sehr hoch. Sehr viele Schulleitungen sind mit ihren Kräften am Ende: Sie sind einem enormen Druck der Eltern ausgesetzt. Sie haben an Grundschulen und SBBZ schon seit Schuljahresanfang einen großen Lehrkräftemangel. Jetzt jonglieren und organisieren sie die verbliebenen Lehrkräfte: Quarantäne, Erkrankung, Risikogruppe, schwanger. Umfangreiche Dokumente müssen gelesen und umgesetzt werden. Elternkontakte, Statistiken des Kultusministeriums, Gesundheitsamt, Schulträger. An kleinen Schulen hängt das alles an der Schulleiterin. Kein Konrektor, kein Abteilungsleiter.“

Vorschläge, wie man damit umgehen könnte: „Abstand im Klassenzimmer ermöglichen. Ab Klasse 7 Unterricht mit halben Klassen, zum Beispiel im tageweisen Wechsel in Präsenz.

Die GEW hatte mindestens für vorerkrankte Lehrkräfte FFP2-Schutzmasken gefordert. Es muss ein Weg zur Entlastung der Schulleitungen gefunden werden. Die Schulen brauchen größeren Freiraum für Entscheidungen, z.B. für den Umgang mit dem Ganztag in der Pandemie.“

Dies sind nur einige der Punkte, die Doro Moritz angesprochen hat und die mir besonders wichtig sind. Auch mein letztes Schuljahr vor dem Ruhestand war geprägt von Corona und ich würde mir wünschen, dass in der aktuellen, brisanten Situation die Schulen noch zwei weitere Wochen geschlossen bleiben. Wenn dann die Schulen geöffnet werden, dann auch in der Grundschulen nur in kleinen Gruppen und im tageweisen Wechsel bis der Inzidenzwert in ganzen Land wieder unter 25 liegt.

Meine wichtigsten Punkte im Bereich der Bildungs- und Schulpolitik sind außerdem:

Lehrer*innenstellen schaffen statt streichen

Wir wollen allen Kindern gleiche Bildungschancen bieten. Das ist aktive Zukunftspolitik für unser Land. Die Erkenntnis „auf den Anfang kommt es an“ nehmen wir ernst. Grüne Sparwut und schwarze Desorganisation haben Baden-Württemberg in Sachen Bildungsgerechtigkeit und Bildungsqualität zurückgeworfen.

Faire Startchancen

Die Ungleichheit in der Bildung hat sich weiter verschärft. Im „Homeschooling“ 2020 hatten diejenigen Nachteile, die nicht über die nötige digitale Ausstattung verfugten. Wir werden jede*n Schuler*in spätestens ab der weiterführenden Schule mit einem Tablet samt Softwarepaket ausstatten.

Qualität und Gebührenfreiheit

Mit uns ist Bildung kostenfrei und qualitätvoll: Von der Kita bis zur Meisterprüfung oder zum Studienabschluss. Hier wird nicht gespart, trotz kleinerem finanziellem Spielraum. Damit wollen wir die Ungleichheit in der Bildung beseitigen. Wir halten daran fest, Familien zu entlasten und die Kita-Gebühren abzuschaffen.