Diese Erkenntnis und der Abgleich mit der Wirklichkeit veranlasste den SPD-Ortsverein Grafenberg zu einer Informationsveranstaltung am vergangenen Mittwoch einzuladen. Als Experte setzte Klaus Käppeler, ehemaliger Landtagsabgeordneter, Bildungspolitiker und Schulleiter einer Grund- und Hauptschule, mit seinem Referat die Impulse für eine lebendige und fachkundige Diskussion.
Den Einstieg in den Abend machte der Ortsvereinsvorsitzende Wolfgang Vöhringer, der auf die zentrale Bedeutung von Bildung hinwies. Bildung sei nicht nur Wissen, sondern eröffne den Zugang zum Beruf, zur Kultur, fördere das Gemeinwesen, die Integration, das bürgerschaftliche Engagement und verhindere nicht zuletzt auch das Entstehen von abweichendem Verhalten (Kriminalität), beschrieb er beispielhaft das Spektrum der Wirkung von Bildung. Bildung sei auch nicht nur mit der Frage Hauptschule oder Gymnasium abzutun, was leider in der letzen Zeit viel zu sehr geschähe. Wenn allerdings die Hauptschule so schlecht geredet werde und langsam zugunsten von Realschule und Gymnasium ausdünne, sei auch das Schulsystem auf den Prüfstand zu stellen. Es sei schon auffällig, dass, trotz des Überhangs gymnasialen Lernens, die Pisa-Ergebnisse nicht über das Mittelmaß hinauskommen. Was läuft falsch, was ist zu tun? – warf er den Ball Klaus Käppeler zu.
Bildung für alle sei eine Frage von Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Lebensqualität, übernahm Klaus Käppeler. Sie sei die zentrale Forderung und zunächst unabhängig von einem Schulsystem. Wenn allerdings durch das Schulsystem und mangelhafte Ressourcen der Zugang zur Bildung erschwert werde, so sei die Problematik in ihrer Gänze zu betrachten. Daher stellte Klaus Käppeler zunächst 10 Leitideen vor, die Grundlage sozialdemokratischer Bildungspolitik sind.
Bildung ist nicht nur Schule – Bildung ist umfassend und als lebenslange Herausforderung zu sehen.
Eine frühe Auslese beschneidet die Lebenschancen jedes Einzelnen – Jeder hat das gleiche
Recht am Bildungsprozess teilzunehmen, von Anfang an.
„Bildungsarmut“ verursacht hohe volkswirtschaftliche Schäden – Gleiche Bildungschancen sind deshalb auch ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft.
Ausgrenzung ist unmenschlich – Der Zugang zu Bildung ist unabhängig von sozialen oder individuellen Beeinträchtigungen zu gewährleisten. Egal, ob es sich um Menschen mit Behinderungen oder mit Migrationshintergrund handelt, das Bildungssystem muss zu ihrer Integration beitragen.
Erziehung ist vorrangig Aufgabe der Eltern – die Gestaltung von Lebensbedingungen, welche diese Aufgabe fördern, ist sozialstaatliche Verpflichtung.
Individuelles Fördern ist Bestandteil der Chancengleichheit – niemand wird zurückgelassen, individuelles Fördern und Fordern hat Strukturprinzip in allen Bildungseinrichtungen zu sein.
Schulstrukturreformen sind weder Selbstzweck noch ideologische Spielwiese – sie haben der Pädagogik zu dienen und sind aus inhaltlichen und Gerechtigkeitsgründen unverzichtbar, an der Maxime des längeren gemeinsamen Lernens führt kein Weg vorbei.
Bildungserfolg ist das Maß – Autonomie der Bildungseinrichtungen und fortlaufende Untersuchung der Wirkung der Methoden befördern den Bildungserfolg
Eltern unterstützen – der Grundstein für lebenslange Bildungsprozesse wird in den Familien gelegt. Bildungsferne Gruppen sind an die Bildung heranzuführen.
Wirkungsvolle Bildungsangebote an Eltern und Erziehungs- und Bildungspartnerschaften mit den Bildungseinrichtungen sind zu entwickeln.
Kernpunkt der Bildungsprozesse ist die professionelle Pädagogik – das Ehrenamt darf nicht als Ersatz für staatlich zu verantwortende Bildung missbraucht werden, es ist behutsam als ergänzende Unterstützung einzufügen.
Dies waren genügend Impulse für eine umfassende und tiefgehende Diskussion. Immer wieder wurde betont, dass politische Schnellschüsse wie das Turbo-Gymnasium oder manche „Rettungsversuche“ für die Hauptschule der soliden Entwicklung einer Schulstrukturreform mehr schaden als nutzen. Kritisiert wurde, dass die Politik es nicht geschafft habe, zu verhindern, dass die Hauptschule in diese Schieflage gekommen ist. Übereinstimmende Meinung war, dass die Hauptschulen seit Jahren kreativ und mit hohem Engagement versuchen ihren ungerechtfertigten Ruf zu verbessern. Da dies offenbar nicht gelingt, muss das 3-gliedrige Schulsystem in Frage gestellt werden. Darüber hinaus sprachen sich die Diskussionsteilnehmer einstimmig für eine längere gemeinsame Verweildauer aus, bevor ein Wechsel in andere Schultypen erfolgt. Unter 6 Jahren gemeinsamer „Grundschulzeit“ ist kein Erfolg zu erwarten. Der SPD-Ortsverein Grafenberg sieht sich durch dieses eindeutige Votum in seiner Haltung bestätigt. Gleiches gilt für die Notwendigkeit von Ganztagesschulen, die leider in Baden-Württemberg in der offiziellen Bildungspolitik noch nicht vorkommen, sondern nur Ergebnis von Einzelinitiativen von Lehrern, Eltern und Kommunen sind.
Übereinstimmend sprachen sich die Anwesenden dafür aus, dem Thema Bildungspolitik in der öffentlichen Diskussion mehr Raum zu geben und alles dafür zu tun, vernünftige Lösungen, frei von Ideologien und Machtkämpfen, zu finden und in die Tat umzusetzen.