Klaus Käppelers Redebeitrag zur Änderung des Schulgesetzes anlässlich der Plenardebatte vom 10. November 2011

PLENUM

18. Sitzung, 10.11.2011

TOP 9 – Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung
Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Baden-Württemberg
Drucksache 15/823

Frau Präsidentin,  

meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!  

„Das Wegfallen der verpflichtenden Grundschulempfehlung lässt uns gelassener an das erste Schulhalbjahr herangehen und nimmt uns und letztendlich unserem Sohn in der vierten Klasse ganz viel vom Druck. Vielen Dank dafür!“ Dies ist eines von vielen Beispielen an Reaktionen, die ich seit der Ankündigung dieser Gesetzesänderung erhalte.  

Sehr geehrte Damen und Herren, das vorliegende Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Baden-Württemberg ist das erste, mit dem die grün-rote Landesregierung entscheidende Weichenstellungen in der Bildungspolitik vornimmt. Ich danke unserer Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer und ihrem Haus für die zügige Umsetzung des Koalitionsbeschlusses, dass die Verpflichtung der Grundschulempfehlung entfällt und damit die Elternrechte entscheidend gestärkt werden. Diesen Dank drücke ich vor allem als Schulleiter aus, der in das Übergangsverfahren von der Grundschule in die weiterführenden Schulen involviert ist. Und ich erlaube mir auch, Ihnen im Namen vieler betroffener Eltern, Lehrerinnen und Lehrer sowie der Grundschulkinder Dank zu sagen.

Und will ich Ihnen auch nicht vorenthalten, wie die oben zitierte Email geendet hat. Die Mutter sagte zu ihrem Mann "Siesch, mir hend richtig gwählt!" 

In der Aktuellen Debatte am 20. Juli diesen Jahres sind Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP sehr kritisch mit der geplanten Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung umgegangen.

Nach Anhörung der Verbände müssten Sie allerdings Ihre Fahnen einholen und zugestehen, dass die neue Landesregierung auf dem richtigen Wege ist, weil sie den erklärten Elternwillen berücksichtigt.

Denn grundsätzlich hat außer Ihnen niemand etwas gegen die Abschaffung der Verpflichtung der Grundschulempfehlung: Die Neuregelung kommt einem langjährigen Wunsch des Landeselternbeirats entgegen und wird ausdrücklich begrüßt. Die kommunalen Landesverbände Landkreistag, Städtetag und Gemeindetag widersprechen der Neuregelung nicht. Das evangelische Schulwerk Baden-Württemberg hat keine Einwände und Änderungsvorschläge. GEW und DGB schließen sich der Umsetzung vollumfänglich an, der Beamtenbund widerspricht der Neuregelung nicht und die Vereinigung von Schulleiterinnen und Schulleitern steht dem neuen Übergangsverfahren grundsätzlich positiv gegenüber.

Bei so viel Einigkeit muss ich mich schon fragen: Warum haben Sie dies nicht längst selbst umgesetzt?

Die Antwort liegt auf der Hand: Es ist Ihnen einzig und allein um die Erhaltung der Dreigliedrigkeit des Schulsystems gegangen. Mit allen Mitteln wollten Sie die Hauptschule retten, damit Sie weiterhin eine Schulform haben, in die Sie Kinder, die aus Ihrer Sicht nicht in die Realschule oder ins Gymnasium passten, aussondern konnten. Kinder, die auffällig oder unangepasst,– aber nicht weniger intelligent als ihre Klassenkameraden sind und von ihrer Begabung her durchaus die Mittlere Reife oder das Abitur erreichen können.

Sie werfen uns vor, das Bildungssystem in Baden-Württemberg verändern zu wollen. Ich darf Ihnen sagen, dass Sie hiermit gar nicht so falsch liegen. Es geht uns aber um mehr: Wir wollen nicht nur die Strukturen, sondern vor allem auch die Atmosphäre, das Lernumfeld verbessern. Nirgends lernt es sich besser als in einer Atmosphäre des Angenommenseins, nirgends schlechter als unter Druck. 

Wenn Sie von einer überstürzten Einführung reden, dann halte ich Ihnen Folgendes entgegen: Schon immer haben Lehrerinnen und Lehrer in den vierten Klassen Eltern intensiv beraten, das tun sie auch in diesem und in den kommenden Jahren. Der Unterschied: Bisher empfanden Eltern die Empfehlung als feststehendes Urteil, als Drohung. Zukünftig werden sie sehr genau auf die Empfehlung der Lehrerinnen und Lehrer achten, weil die Verantwortung bei ihnen selbst liegt.

Schon bisher waren die engagierten Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer in intensivem Dialog mit den Eltern. Künftig wird die Beratung von der ersten Klasse weg verpflichtend und wird sich wie ein roter Faden durch die Grundschulzeit ziehen, so dass es nicht mehr passieren kann, dass Eltern nach Erhalt der Grundschulempfehlung aus allen Wolken fallen. 

Externe Beratungslehrer wurden bisher nur angerufen, wenn die Eltern mit der Gemeinsamen Bildungsempfehlung nicht einverstanden waren, in der Hoffnung, dass das Urteil der Schule korrigiert wird. Zukünftig werden diese speziell ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer eine wichtigere Rolle bei der Schullaufbahnberatung spielen, wenn Eltern sich in ihrer Entscheidung unsicher sind. Sie können – wenn die Eltern dies wünschen – einen Begabungstest machen oder sich auch nur in einem Gespräch beraten lassen. 

Sehr geehrter Herr Wacker, in der Aktuellen Debatte am 20. Juli haben Sie das Thema der Sozialen Selektion zur Sprache gebracht und behauptet, diese würde durch die wegfallende Verpflichtung verschärft.

Die Realität sieht derzeit allerdings so aus, dass Kinder aus den sogenannten „besseren“ Familien von ihren Eltern meist intensiv auf ihrer schulischen Laufbahn begleitet und nicht selten zur gewünschten Grundschulempfehlung getrimmt werden. Kinder von Eltern aus bildungsfernen Schichten hingegen kommen nicht in diesen vermeintlichen Genuss, da oft schon der regelmäßige Kontakt zwischen Eltern und Lehrern fehlt. Künftig jedoch werden auch diese Eltern verpflichtend beraten werden und zwar regelmäßig und bereits vom ersten Schuljahr an. Dass dies ein ganz grundsätzlicher und wichtiger Beitrag zu mehr Chancengleichheit ist, dürfte auch Ihnen einleuchten. 

Zur Angst, dass die Eltern die „falsche“ Schule wählen, möchte ich zweierlei anmerken:

1. Die Erfahrungen mit der Einführung von G8 hat doch gezeigt: Eltern schrecken eher davor zurück, ihre Kinder zu überfordern. Wie lässt es sich denn sonst anders erklären, dass landesweit 15 % der Schüler mit gymnasialer Empfehlung die Realschule besuchen, in meiner Heimatgemeinde oder auch an anderen Realschulen sind es sogar über 40 %.

2. Ich will nicht abstreiten, dass manche Eltern, vielleicht doch wider besseren Wissens ihr Kind an der Realschule anstatt der Hauptschule anmelden. Aber dieses Ziel haben sie jetzt auch schon erreicht, mit teurer Nachhilfe, mit gnadenlosem Pauken für die Klassenarbeiten, mit Druck oder dann nach der fünften Hauptschulklasse in der Orientierungsstufe. 

Ja, Sie haben Recht mit ihrer Befürchtung, dass dies das Aus für kleine Hauptschulstandorte sein kann. Aber erfinden Sie keine neue Dolchstoßlegende, nach dem Motto: „Wer hat euch verraten – Sozialdemokraten.“

Der kontinuierliche Rückgang an Hauptschülern ist dem Wunsch der Eltern nach einem höheren Bildungsabschluss geschuldet. Zurückgehende Schülerzahlen wirken sich deswegen insbesondere negativ auf kleine Hauptschulstandorte aus. Und schon vor Ihrem Schließungsprogramm „Neue Werkrealschule“ mussten kleine Hauptschulstandorte ihren Betrieb einstellen. In meiner näheren Umgebung zum Beispiel Hayingen, Mehrstetten, Auingen und Gomadingen zum Ende diesen Schuljahres. Und das nicht nur wegen der von Ihnen geforderten Zweizügigkeit, sondern weil sie nicht einmal mehr einzügig waren. Sollten solche Schulen Gemeinschaftsschulen werden und die Eltern diese Schulform wählen, könnte die eine oder andere Gemeinde eine weiterführende Schule im Ort behalten. 

Die Chancen auf Änderung der Gemeinsamen Bildungsempfehlung durch die Klassenkonferenz waren nach Tests und Beratungsverfahren durch einen Beratungslehrer sehr klein, für das Bestehen einer Aufnahmeprüfung gar verschwindend gering. An meiner Schule hat die vergangenen vier Jahre kein einziges Kind die Aufnahmeprüfung bestanden und eine Korrektur der Empfehlung gab es nur in zwei Fällen.

Leidtragende sind immer die Kinder, die von ihren Eltern in das Beratungsverfahren gedrängt werden und nach der zweiten Gemeinsamen Bildungsempfehlung erneut als Versager bloßgestellt sind.  Wenn sie dann noch Ende des Schuljahres in die Aufnahmeprüfung geschickt werden, diese auch nicht bestehen,  erlischt der letzte Funken Hoffnung. Einmal mehr können die armen Kinder die Erwartungen ihrer Eltern nicht erfüllen – eine Katastrophe für viele Bildungsbiographien. 

Sie argumentieren, dass mit der Übertragung der Entscheidung für eine weiterführende Schule auf die Eltern die Gefahr bestehe, dass die Kinder in einer falschen Schule landen, dort Misserfolge haben, sitzen bleiben, die Schmach der Zurückstufung in die Realschule oder in die Hauptschule erleiden müssen. Solange es sich Schulen und Lehrerinnen und Lehrer leicht machen können, indem sie dem Kind bedeuten, dass es an der „falschen“ Schule sei, solange ist etwas falsch in unserem System.

Erst wenn es in allen Schulen gelingt, alle Kinder so anzunehmen, wie sie sind und sie dann entsprechend ihrer Fähigkeiten individuell zu fördern, erst dann werden wir allen Kindern gerecht.

Sind Sie sich bewusst, dass Sie immer noch der althergebrachten Überzeugung hinterherlaufen:

"Alle gleichaltrigen Schüler haben beim gleichen Lehrer zum gleichen Zeitpunkt im gleichen Zimmer mit dem gleichen Lehrmittel das gleiche Ziel gleich gut zu erreichen." (Nach den 7G von Fratton). Solange Sie dieses Ziel weiter verfolgen, werden Sie Kinder in falschen Schulen finden.

Klaus Käppelers Redebeitrag zur Bildungsdebatte im Baden-Württembergischen Landtag vom 13.10.2011

PLENUM   15. Sitzung, 13.10.2011  

 

7. a)  Antrag der Fraktion der FDP/DVP und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport
Zukunft der Werkrealschule
Drucksache 15/205

 

b)  Antrag der Fraktion der CDU und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport
Vorliegende Anträge auf Einrichtung der sogenannten Gemeinschaftsschule
Drucksache 15/356 (geänderte Fassung)

Frau Präsidentin,

meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!  

Seit über dreißig Jahren erlebe ich hautnah und persönlich als Lehrer und als Schulleiter alle Rettungsversuche für die Hauptschule.  In der Hauptschule wurde die Orientierung in Berufsfeldern eingeführt, lange bevor die Realschule mit BORS und das Gymnasium mit BOGY nachzogen. Die Projektprüfung erfuhr hier ebenso  ihre Feuertaufe wie die Fächerverbünde. Mit dem guten Start in der Hauptschule versucht man frustrierte Kinder zu motivieren.

Dabei hat die Akzeptanz dieser weiterführenden Schule immer weiter abgenommen. Wobei es da deutliche Unterschiede zwischen ländlich geprägten Hauptschulen und den sog. Brennpunktschulen in den Städten zu beobachten war.  

Mit der Einführung der Werkrealschule neuen Typs wollte die alte Landesregierung ein weiteres Mal etwas retten, was nicht zu retten ist: Nur noch drei Prozent der Eltern in der Grundschule wünschen sich nach der neuesten Allensbach-Studie für ihr Kind die Hauptschule. Mit der Maßgabe der Zweizügigkeit haben Sie das Ende der Hauptschule eingeläutet und die neue Werkrealschule als das Heil verkauft. Dabei hatte man den Eindruck, dass der damalige Finanzminister Bildungspolitik betrieben hat und nicht die Fachleute aus dem Ministerium. Sie haben kleine Hauptschulen gedrängt, ihre Selbständigkeit zugunsten eines Zusammenschlusses mit der Nachbarschule aufzugeben. Sie haben bewusst in Kauf genommen, dass kleine Hauptschulen im Ansehen weiter gelitten haben, weil sie die Werkrealschulen als die bessere Alternative propagiert haben.

Dabei waren gerade die Hauptschulen in den ländlich geprägten Gegenden durchaus erfolgreich. An meiner Schule beispielsweise haben in den vergangenen Jahren 70% der Schülerinnen und Schüler den Weg in die zweijährige Berufsfachschule genommen, in der sie eine Mittlere Reife erwarben, die eine hohe Akzeptanz in der Wirtschaft hat. Oder sie  fanden den direkten Einstieg in den Beruf.  

Mit der vorgesehenen Kooperation mit den Berufsfachschulen in der 10. Klasse haben Sie eine organisatorische Missgeburt gezeugt, die Gleichartiges noch nicht gesehen hat.

Vor zwei Jahren war ich zu einer Besprechung eingeladen, bei der das Staatliche Schulamt den Schulleitern von Haupt- und Werkrealschulen einerseits und Berufsschulen andererseits erklärte, wie dies zu organisieren sei. Ich spare mir die Bemerkungen der Betroffenen. Die Schulbehörden hatten jedenfalls Mühe, sich loyal zu verhalten, Kollegen waren fassungslos, Kopfschütteln allerseits.

Mich würde interessieren, wer Ihnen dieses Modell verkauft hat, dass die Klassenverbände aufgelöst und die Schüler zwei Tage an der Berufsfachschule, die anderen drei Tage  an der Werkrealschule unterrichtet werden sollten.  Ich habe jahrelang in den oberen Klassen der Hauptschule unterrichtet. Glauben Sie mir, diese Schülerinnen und Schüler brauchen den Klassenverband, brauchen einen Klassenlehrer als Bezugsperson, die möglichst viel in der Klasse und nahe bei den Schülern ist. Nur wenn der Lehrer oder die Lehrerin seine Schüler sehr gut kennt ist eine optimale individuelle Förderung möglich.

 „Der Verlust an pädagogisch kontinuierlichem Arbeiten ist aus Sicht der neuen Landesregierung nicht zumutbar“ heißt es in der Antwort auf Ihren Antrag. Glauben Sie mir, im Kollegenkreis wurde über diesen Plan nicht so höflich gesprochen.

Seien Sie froh, dass Sie die Verantwortung nicht mehr tragen und danken Sie uns, dass wir hier Korrekturen vornehmen – Sie ersparen sich damit Schmäh und Spott.  

Zu den vorliegenden Anträgen auf Einrichtung der sogenannten Gemeinschaftsschule:

Gemeinschaftsschule ist keine Schule, in der alle Kinder zu einem Einheitsbrei geschlagen werden und sie hat auch keine Einheitslehrer die – Ihrem Weltbild entsprechend – den Kampfbegriffen von Einheitsfront oder Einheitspartei entspricht! Die Gemeinschaftsschule zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie Unterschiede zulässt, fördert und so jedem Kind in seiner Verschiedenartigkeit gerecht wird. Ein hoher Anspruch, fürwahr – aber lohnt es sich nicht, dafür mal die Scheuklappen abzulegen, Neues zuzulassen. 

Ja wir haben diese neue Schulform so genannt, und wenn sie diese Schule noch so oft mit Apostroph versehen, als etwas Unanständiges, als etwas, was man am besten nicht anfasst.  

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Oppositionsbänken:

Einmal mehr werden Sie erkennen, dass der Bürgerwille mit Ihren verkrusteten und zementierten Vorstellungen nicht übereinstimmt:

Das Interesse an der Auftaktveranstaltung zur Gemeinschaftsschule in Ludwigsburg vergangene Woche war überwältigend. Und die Resonanz auf diese Veranstaltung ebenso, von Schulräten, Lehrern bis hin zu Bürgermeistern.

In der Begründung für Ihren Antrag formulieren Sie, dass „die Bürgerschaft auf ein differenziertes Bildungsangebot mit Haupt- und Werkrealschulen, Realschulen sowie Gymnasien verzichten muss“. Wenn Sie sich mit den Eckpunkten der Gemeinschaftsschulen auseinandergesetzt haben, dann wissen Sie, dass gerade die Bürger vor Ort, die Schulen und die Schulträger darüber entscheiden, ob sich eine ihrer Schulen auf den Weg macht, Gemeinschaftsschule zu werden.

Die Eltern müssen also auf nichts verzichten – im Gegenteil, ihnen werden neue Möglichkeiten eröffnet. 

Vor 10 Jahren noch haben Sie vehement die Ganztagesschule abgelehnt – und es hat lange gedauert, bis Sie den real existierenden Bedarf an Ganztagesbetreuung akzeptiert haben.

Noch heute verteidigen Sie ein selektives und sozial ungerechtes Schulsystem, als ob man Ihnen ein Heiligtum zerstören würde. Auch hier übergehen Sie die Meinung der Eltern, die sich von der Hauptschule abgewandt haben. 97 % sehen ihre Kinder in einer anderen Schule – einschließlich der Gemeinschaftsschule.

Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land lassen sich von Ihnen nicht vorschreiben, was für Ihre Kinder gut ist. Das bestimmen sie selbst. Und das ist gut so.

Landesnaturschutzgesetz und Biosphärengebiet

PLENUM   101. Sitzung, 09. November 2005

TOP 5: Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Naturschutzrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften

Drucksache 13 / 4768
Gesetzentwurf der Landesregierung

Frau Präsidentin
meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!

Ich gebe es zu: Als wir hier in diesem Hohen Hause am 1. Juli 2004, also vor über einem Jahr über Perspektiven für die zukünftige Entwicklung des Truppenübungsplatzes Münsingen und über Naturschutz eben dort diskutierten, war mein Redebeitrag von mehr Skepsis geprägt, als er heute ist. Aber wer konnte damals ahnen, dass der langjährige Ministerpräsident aus dem Amt gedrängt würde und dass damit endlich der Weg frei wird, das Bundesnaturschutzgesetz in ein Landesgesetz umzusetzen! Dass es jetzt so zügig in die Umsetzung geht, ist zu begrüßen.

Unseren Antrag vom 19.04.2004, bei dem wir forderten:
„1. dem Landtag eine konkrete Planung für eine Unterschutzstellung des Gebietes
vorzulegen;
2. dabei den TÜP Münsingen als Schutzgebiet innerhalb eines größeren Schutzgebietes vorzusehen, z. B. eines Entwicklungsnationalparks oder eines Biosphärenreservates gemäß dem Bundesnaturschutzgesetz“

haben Sie mit Ihrer Mehrheit abgelehnt. Wenn Sie heute nun diesen Forderungen nachkommen, so freut uns das. Noch mehr würden wir uns freuen, wenn Sie das so auch sagen würden!

Was bisher insbesondere von kommunaler Seite angedacht und vorangetrieben wurde kann sich sehen lassen: Von den Städten Münsingen und Bad Urach sowie der Gemeinde Römerstein die Erklärung, einer Ausweisung eines Biosphärengebietes zuzustimmen und unter Federführung des Landrates in Zusammenarbeit mit den Behörden den Projektantrag voranzutreiben.

Von Seiten des Landes wird auch agiert: Eine Lenkungskommission wurde eingerichtet und auch ein Fachbeirat hat schon getagt.

Alle sind sich einig: Hier handelt es sich um ein UNESCO – Schutzgebiet, von denen es in 57 Ländern weltweit 459 gibt. In dieser Modellregion kann aufgezeigt werden, wie Mensch und Natur sich weiterentwickeln. Die Menschen in unserer Region sehen die Ausweisung als Biosphärengebiet insgesamt positiv und als Chance. Sie sind durch das Landesprogramm PLENUM und das Bundesprogramm „Regionen aktiv“ mit der Entwicklung eines solchen Gebietes von „unten nach oben“ vertraut und haben verstanden, was Schützen durch Nützen bedeutet. Sie sind sich bewusst, dass eine landwirtschaftliche Nutzung in der Kernzone – 3% der Gesamtfläche – nicht möglich ist. Aber das ist nicht so tragisch, weil man da splitterbelastete Gebiete einplant, die ohnehin kontaminiert sind und die nicht von Munitionsresten befreit werden können.
Vor Ort sieht man die Chancen im Tourismus, die das Label „Einziges Biosphärengebiet in Baden-Württemberg“ als Markenzeichen mit sich bringen kann. Da Urlauber immer mehr Wert auf eine intakte Landschaft legen, kann sich die Schwäbische Alb mit diesem Alleinstellungsmerkmal weiter profilieren.
Ende dieses Sommers habe ich eine geführte Fahrradtour über den Truppenübungsplatz organisiert und ich sage Ihnen: Die Landschaft ist überwältigend, Sie können stundenlang unterwegs sein und merken nichts von Zivilisation und was am meisten beeindruckt: Sie können die Stille hören!

Nun ist die Verabschiedung eines Gesetzes eine Sache, die Umsetzung danach aber eine ganz andere.

Bei genauer Nachfrage steht das ganze Projekt unter dem Vorbehalt der Finanzierung. Ohne ausreichende Dauerfinanzierung wird das Projekt Makulatur bleiben: Nach ersten Berechnungen braucht es mindestens 10 hauptamtliche Kräfte, die den Platz pflegen und Besucherströme lenken sowie zusätzliche Gelder um Projekte durchführen zu können. Das heißt unter 1 Million Euro jährlich ist das Ganze nicht zu machen. Zur Finanzierung schwirren unterschiedliche Zahlen – und bei den Verantwortlichen unterschiedliche Vorstellungen und Forderungen umher.
Da wird von Landesseite gerne auf die Verantwortung des Bundes verwiesen. Die Grünen sprachen in ihrem Antrag vom Juli 2003 das Bundesprogramm für Naturschutzgroßprojekte an, die es beim Bundesamt für Naturschutz (BfN) geben soll, der frühere Landrat Dr. Wais nannte in einer Pressemeldung vor ca. einem Jahr die Zahl 8 Millionen €.

Nun laufen die Überlegungen und wohl auch schon ein Antrag des Ministeriums für Ländlichen Raum und Landwirtschaft an die Landesstiftung, sich in eine Unterstiftung einzubringen, eine Unterstiftung, die jährlich 1 Million € abwirft, also ein Volumen von mindestens 20 Millionen haben sollte! Genaues weiß man nicht! Was zahlt der Bund? Was bringt das Land?

Wir fordern eine rasche Offenlegung dieser Zahlen und eine Klärung des rechtlichen Zustands. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn die Landesstiftung im Rahmen ihrer Möglichkeiten hier mitfinanziert. Aber man muss wissen, dass eine Unterstiftung deswegen eine rechtlich äußerst komplizierte Angelegenheit und schwierig zu konstruieren ist, dass eine Dauerfinanzierung nicht möglich sein kann, weil Staats- bzw. gesetzliche Aufgaben nicht durch die Stiftung erledigt werden dürfen. Ein dankbares Feld für Juristen und Steuerprüfer tut sich hier auf – Ausgang offen!

Deswegen muss ich – auch wenn wir als SPD – Fraktion die Neuordnung des Naturschutzrechtes insgesamt befürworten, meiner Forderung Nachdruck verleihen, die ich am 1. Juli vergangen Jahres an dieser Stelle gemacht habe:
Wir haben nun ein Konzept, jetzt fehlt noch das Entscheidende: das Geld.
Aber vielleicht hat ja der Ministerpräsident bei seinem angekündigten Besuch im Januar seine Schatulle dabei. Der von der Konversion gebeutelten Region ist das zu wünschen!

So genannte „Brennpunkt“ Hauptschule

PLENUM 96. Sitzung, 30. Juni 2005

TOP 8: So genannte „Brennpunkt-Hauptschulen“

Drucksache 13 / 2762
Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport

Frau Präsidentin,
meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!

Mit dem Antrag meiner Fraktion zu den so genannten „Brennpunkt-Hauptschulen“ beschäftigt sich dies Hohe Haus nach längerer Zeit wieder einmal mit der Hauptschule. Ich erlaube mir zur Hauptschule insgesamt zu sprechen, weil Sie zwischenzeitlich den viel positiveren Begriff „Schulen mit besonderer pädagogischer und sozialer Aufgabenstellung“ gefunden haben, der die problematische Situation dieser Schulart geschönt umreißt. Im Grunde genommen trifft diese elegante Beschreibung mehr oder weniger auf alle Hauptschulen zu. Dies kann weder Ihnen noch dem Ministerium entgangen sein, wenn Sie regelmäßig den Pressespiegel des Landtags aufmerksam durchblättern. Also ohne so genannt, nur noch  „Brennpunkt“ Doppelpunkt „Hauptschule“!

Bevor ich mich mit der Antwort der Landesregierung auseinandersetze, erlauben Sie mir an dieser Stelle allen Lehrerinnen und Lehrern, also meinen Kolleginnen und Kollegen an der pädagogischen Front, die an den so genannten „Brennpunkt-Hauptschulen“ unterrichten und betreuen – aber auch an allen anderen Hauptschulen, meinen aufrichtigen Dank und eine gehörige Portion Respekt für Ihr Wirken aussprechen. Sie sind es, die sich unter teilweise schwierigsten Bedingungen für die Ihnen anvertrauten Kinder einsetzen, trotz immer währender Frustrationen, trotz Kränkungen durch die Gesellschaft sich immer wieder aufrappeln, um den guten Anlagen, die in jedem Menschen schlummern, zum Erfolg zu verhelfen.
Auf das Gehalt und die Ferien angesprochen halten sich ja hartnäckig Vorurteile. Auf den Vorschlag, doch mal zu tauschen, möchte aber besonders dann niemand eingehen, wenn man erzählt, dass man an einer Hauptschule unterrichtet.

Deswegen gilt es diejenigen zu würdigen, die ihre aufopferungsvolle Aufgabe nicht als Job sondern als Berufung begreifen! Ich gehe davon aus, dass Sie mir hier nicht widersprechen, auch nicht von den Regierungskoalitionen. Und eigentlich dürften Sie dafür allesamt ruhig einmal Beifall klatschen.

Um von vorneherein der einfachen Ausrede zu begegnen, wenn nur die Opposition die Hauptschule nicht schlecht reden würde, dann gäbe es die Ablehnung in der Gesellschaft nicht – nach einer Untersuchung schicken nur noch 6 Prozent der Eltern ihre Kinder freiwillig und bewusst in die Hauptschule – möchte ich Ihnen nachfolgend Fakten auflisten, die Sie nicht länger ignorieren können und die Sie dringend dazu veranlassen müssten, auch über Strukturveränderungen nachzudenken – oder wenigstens offen nachdenken zu lassen, wenn Sie es selbst nicht können:

Obwohl es Hauptschulen unterschiedlichster Prägung gibt, städtische Hauptschulen sind anders als Hauptschulen auf dem Land, gilt der drohende Besuch einer Hauptschule bei fast allen Grundschuleltern als Stigma. Es wird alles unternommen, um ja nicht in der Hauptschule zu landen. Nachhilfeunterricht, Gespräch mit dem Beratungslehrer, die Gemeinsame Bildungsempfehlung oder noch die Aufnahmeprüfung. Wenn dann alles nicht geholfen hat, das Kind nun wohl oder übel in der 5. Klasse ist – wird es unbewusst oder bewusst von den Eltern, von Verwandten und Bekannten, von Mitschülern und Nachbarn bemitleidet, dass es die „Restschule“ besucht. Dabei wird dieses Wort ja nicht direkt benutzt, aber wenn die Grundschullehrerin die Eltern zu trösten versucht und sagt, es sei ja noch nicht alles verloren, man könne die Mittlere Reife ja später noch nachmachen, dann sagt das doch schon alles aus: Die Hauptschule verliert an Wert. Die Südwest-Presse schrieb am 15. März dieses Jahres unter der großen Überschrift „Die Krise der Hauptschule“: „Kaum Zukunft für das Sorgenkind!“

Meine Damen und Herren,
vor vier Jahren noch waren Sie hier der Meinung, es gäbe keinen Bedarf und keine Mehrheit für die Ganztagesschule. So wie Sie in dieser Frage hoffnungslos ins Hintertreffen geraten sind, so werden Sie es beim Thema Hauptschule wieder erleben, das prophezeie ich Ihnen. Lassen Sie das starre Festklammern am dreigliedrigen Schulsystem, ermöglichen Sie eine sechsjährige Grundschule und darauf aufbauend die 4 – jährige Regionalschule, in der die Schülerinnen nach ihren Fähigkeiten sowohl den Hauptschulabschluss als auch die Mittlere Reife erwerben können. In den neuen Bundesländern können Sie dies besichtigen: Wie wir erst vor kurzem in Thüringen gesehen haben, kommen immer mehr Schulen von der additiven Lösung ab – also der Trennung von Haupt- und Realschülern und wenden sich den integrativen Formen zu! Lassen Sie doch wenigsten mal Versuche zu und lehnen Sie dies nicht alles stur ab, wie vor kurzem unseren Antrag, gemeinsamen Unterricht an Verbundschulen zu ermöglichen. Über kurz oder lang werden Sie daran nicht mehr vorbeikommen. Ihr Juniorpartner in der Regierung zeigt sich da erfreulicherweise doch auch schon flexibler!

Alle Anstrengungen der Landesregierung haben nicht zum Stopp oder zur Trendumkehr geführt: Im Gegenteil. Sie haben mit IMPULSE den Hauptschulen einen guten Weg gezeigt. Sie haben mit LIPSA den Start in der Hauptschule verbessert – um allerdings nach einigen Jahren die zusätzlich gewährten Stunden wieder zu kassieren. Mit diesen Programmen haben sie freilich außerdem kaschiert, dass erfolgreiche Maßnahmen wie das Erweiterte Bildungsangebot, wie Arbeitsgemeinschaften, wie Stütz- und Förderunterricht nur noch auf dem Papier oder in Ihren Antworten auf unsere Anfragen stehen: In Wirklichkeit gibt es diese seit Längerem nicht mehr, man ist froh, den Pflichtunterricht noch recht und schlecht abdecken zu können.

Eine Ausnahme bilden die so genannten „Brennpunkt-Hauptschulen“: Dort gibt es an Ganztageseinrichtungen – fast alle in Württemberg – deutlich weniger in Baden – zusätzliche Lehrerstunden, durchschnittlich 22 Stunden pro Schule. Gut so.

Aber was diesen Schulen recht ist, muss den anderen billig sein. Im Zusammenhang mit der Antragstellung zum IZBB Programm fragten sich schon manche Schulen, warum sie nicht als „Brennpunkt-Schule“ eingestuft wurden. Denn sie haben erkannt, dass eine bessere Förderung der Schüler einerseits nur durch mehr Zuwendung und damit mehr Unterrichtsstunden und einen ganztägigen Unterricht mit Betreuung andererseits zu gewährleisten ist.
Auch wenn Sie dies statistisch nicht erfasst haben: Manches Hauptschulkollegium hat bei der Erarbeitung des pädagogischen Konzepts gerätselt, warum es an ihrer Schule keine zusätzlichen Stunden gibt, wo doch auch die unterprivilegierten Schichten überwiegen, wo doch auch ein schwieriges soziales Umfeld zu verzeichnen ist, wo es doch auch eine hohe Jugendarbeitslosigkeit gibt, wo doch auch ein hoher Anteil an Ausländern oder Aussiedlern zu verzeichnen ist, wo doch auch viele allein erziehen oder wo es viele Schlüssel und Straßenkinder gibt.

Diese Kollegen würden sich gerne, wie es an Brennpunkt-Hauptschulen teilweise gelungen ist, auf den Weg machen, unterstützt auch durch Schulsozialarbeiter, die sich schwierigen Kindern annehmen können, die Abschluss-Schüler bei der Suche nach einem Beruf begleiten. Aber die Mittel für Schulsozialarbeit haben Sie ja leider gekürzt. Besonders betroffen davon sind vor allem Hauptschülerinnen und Hauptschüler, die es am schwersten haben.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
vor kurzem hat der VBE (Verband Bildung und Erziehung) mit einer Pressemitteilung ein weiteres Problem drastisch beleuchtet: Überschrift: “Hauptschule darf nicht mehr Auffangbecken für gescheiterte Realschüler und Gymnasiasten sein.“ Sie sprechen von Durchlässigkeit, die aber in Wahrheit nur von oben nach unten funktioniert. Von 10 Schülern, die die Schulart wechseln, ist es gerade mal einer, der von der Hauptschule in die Realschule oder von der Realschule in das Gymnasium wechselt, für 9 dagegen bedeutet Durchlässigkeit Abstieg! Ich zitiere weiter aus der Pressemitteilung des VBE vom 13. Mai 2005: „Ein wichtiger Grund, einen Bogen um diese Schulart zu machen, die einst einmal wirklich die „Haupt“-Schule war, sei die Tatsache, dass sie zum Sammelbecken für Gutwillige und Schulunlustige, für verhinderte Gymnasiasten und gestrauchelte Schulabbrecher geworden sei.“ Und weiter heißt es: „Das sukzessive Aussortieren und Abschieben führe zu massiven Problemen im Unterricht der Hauptschule und schaffe vielerorts ein pädagogisches Klima, das am Selbstbewusstsein aller Betroffenen zehre und ein leistungsorientiertes Arbeiten zunehmend unmöglich mache.“ Aus eigener Anschauung kann ich diese Aussagen nur bestätigen!

Wen wundert es, wenn sich kaum noch junge Leute für den Beruf des Hauptschullehrers – um genau zu sein, den Beruf des Grund- und Hauptschullehrers mit dem Stufenschwerpunkt Hauptschule wählen?

Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie haben den kleinen Hauptschulen eine Bestandsgarantie gegeben. Ich bin gespannt, wie lange Sie diese noch halten werden. Nicht nur ich vermute, nur bis zum 26. März des kommenden Jahres! Als ich vor 25 Jahren an meiner Schule zu unterrichten begann, hatten wir teilweise noch 2 parallele Jahrgangsklassen an der Hauptschule. Im kommenden Schuljahr besuchen gerade noch 4 Schüler die 5. Klasse, was bedeutet, dass wir zum ersten Mal 5 und 6 jahrgangsübergreifend unterrichten müssen. Und die Bevölkerungszahlen haben sich im Grunde genommen nicht verändert!  Wir werden das hinbekommen, wie andere Schulen auch, wenngleich ich nicht verstehe, warum diese 4 Schüler nicht mit den 16 Schülern gemeinsam unterrichtet werden können, die die Realschulklasse bilden! Eine andere Schule in der Region, in der schon bisher 5 und 6 sowie die Jahrgänge 7 und 8 gemeinsam unterrichtet wurden, wurden jetzt nicht wie im vergangenen Jahr 105 Stunden, sondern nur noch 70,5 Stunden zugewiesen. Selbst wenn dann auch noch die Abschlussschüler gemeinsam mit 7 und 8 unterrichtet werden, bedeutet diese Reduzierung das faktische Aus dieser Hauptschule: Jahrgangsübergreifendes Unterrichten funktioniert nur, wenn es weiterhin Möglichkeiten der äußeren Differenzierung z.B. in Englisch oder in Technik gibt. Und dafür braucht es Stunden!

In Ihrer Stellungnahme auf unseren Antrag finden sich keine Lösungen, geschweige denn Ansätze dazu, für die drängenden Probleme der Hauptschule. Ein bloßes „Weiter so“ reicht nicht. Das zeigt auch ein Artikel in der Schwäbischen Zeitung Biberach von gestern. Da berichtet ein Hauptschullehrer fassungslos, dass von 56 Abgängern der Hauptschule nur vier einen Ausbildungsplatz haben. Und die 52 anderen? Die sind Opfer Ihrer Bildungspolitik und gehen ohne Perspektive aus der Hauptschule.

Jeder von Ihnen sollte nur mal drei Tage eine solche Klasse am Ende des Schuljahres unterrichten müssen. Ich meine: Das würde so manchen Politikwechsel bei der Hauptschulfrage bei Ihnen bewirken!

Herzlichen Dank!

Unterrichtsversorgung

PLENUM 31. Sitzung, 16. Oktober 2002

TOP 9: Unterrichtsversorgung

SPD: Unterrichtsversorgung Drucksachen 13 / 371, 13 / 565
GRÜNE: Unterrichtsversorgung im Sonderschulbereich Drs. 13 / 1145
SPD: Erhebung zum Unterrichtsausfall Drs. 13 / 639
SPD: Unterrichtsausfall an baden-württ. Schulen, Drs. 13 / 1017

Herr Präsident,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
sehr geehrte Frau Ministerin,

Die Situation an unseren Schulen und Ihre Aussagen dazu – die Kluft, die sich da auftut, wird immer peinlicher. Unterricht fällt inzwischen in einem Maße aus, dass alle bisherigen Rekordmarken übertroffen werden, Förder- und Ergänzungsstunden werden gnadenlos zusammengestrichen und viele Klassen platzen aus allen Nähten. Die PISA- Ergänzungsstudie hat gezeigt, dass die Personalsituation von den Schulleitungen nirgends so prekär eingeschätzt wird als in Baden-Württemberg. In 48,5 Prozent, also in fast jeder zweiten Schule ist das Lernen der 15jährigen nach Angaben der Schulleitungen durch Lehrermangel oder fachfremden Einsatz von Lehrkräften beeinträchtigt.

Hilfe suchend in der Not wenden sich immer mehr Schulleitungen, Lehrkräfte und Eltern sowie Schülerinnen und Schüler an uns. Sie wenden sich an uns, weil Sie zwar fast täglich neue Erfolgsmeldungen über Ihre Pressestelle vernehmen, Frau Schavan. Aber: Allein der Glaube, dass sich an unseren Schulen in Baden-Württemberg wirklich entscheidend etwas verbessert, der ist verloren gegangenen, Frau Ministerin!

Kein Schulleiter, keine Lehrerin, keine Mutter und erst recht nicht die Schüler glauben noch daran, dass sich unter Ihrer Amtszeit etwas ändert!

Als Sie im Bundestagswahlkampf groß auf Reisen waren, haben Sie überall in Deutschland, von Flensburg bis Friedrichshafen und von Plauen bis Pirmasens verkündet: Genug der Worte – wir wollen Taten von der Bundesregierung sehen. Jetzt nehmen wir Sie beim Wort: Genug der weiten Reisen – zurück an den Schreibtisch, Frau Schavan! Nachsitzen ist angesagt! Es gibt genug zu tun für Sie!

Unsere 3 Anträge und die 3 Antworten aus Ihrem Ministerium offenbaren die ganze Misere in der Schulpolitik, die Sie zu verantworten haben. 4 Punkte will ich herausgreifen:

Die Unterrichtsversorgung ist so schlecht wie nie zuvor!
 

Von Ihnen veranlasste Stichproben über Unterrichtsausfall an baden-württembergischen Schulen ergaben, dass der Unterrichtsausfall an den meisten Schularten so hoch ist wie nie zuvor!

Hier sind die Fakten, wie sie von Ihrem eigenen Ministerium erhoben wurden:

Unterrichtsausfall an Grundschulen: eine Steigerung von 40% innerhalb eines Jahres!

Unterrichtsausfall an Realschulen: ebenfalls 40% mehr Unterrichtsausfall innerhalb eines Jahres!

Unterrichtsausfall an Sonderschulen: eine Steigerung um 193%!

Das ist fast eine Verdopplung der ausgefallenen Stunden in nur einem Jahr. Gleichzeitig heißt es in der Bewertung Ihres Ministeriums. Ich zitiere wörtlich: „Die bisherigen Stichproben haben in etwa die gleich bleibenden Daten erbracht!“ Frau Schavan: Eine Verdopplung – das ist doch nicht „in etwa gleich bleibend“. Das wissen sogar diejenigen, die in Klasse 1 mit dem Rechnen beginnen.

Die Statistik zum Unterrichtsausfall soll abgeschafft werden, weil Ihnen die Ergebnisse nicht passen!
 

Wenn diese Zahlen über Unterrichtsausfall Ihrer Schulpolitik ein so erstklassiges Zeugnis ausstellen, wie Sie es darstellen, also ein Ruhmesblatt der Regierung sind, warum sollen dann in Zukunft keine Stichproben mehr zum Unterrichtsausfall gezogen werden? Der Grund ist doch klar: Diese Zahlen sind ein Armutszeugnis für Ihre Politik und deshalb sollen sie auch gar nicht mehr erhoben werden. Getreu dem Motto: Eine Statistik, die mir nicht gefällt, wird erst gar nicht mehr erstellt!

Ich möchte Sie nun nicht für schwindende Steuereinnahmen Ihres Kollegen Finanzministers in Haftung nehmen. Aber wie beurteilen Sie folgende Bescheinigung zur Vorlage beim Finanzamt, ausgestellt vom Bildungszentrum Reutlingen-Nord: „Sehr geehrte Frau Thumm, ich bescheinige Ihnen, dass in unserer Klasse 8C in der Zeit vom 1.2. bis zum 17.05.2002 insgesamt 30 Unterrichtsstunden ausgefallen sind, die aus dem Stundenvolumen des Lehrerkollegiums nicht vertreten werden konnten.“

Mit Rechentricks versuchen Sie den Eltern vorzugaukeln, dass Sie tausende von neuen Lehrerstellen geschaffen haben und in großem Umfang zusätzlicher Unterricht stattfindet!
 

Angesichts der gigantischen Zahlen über steigenden Unterrichtsausfall ist es wirklich unglaublich, was Sie zu Beginn dieses Schuljahres veranstaltet haben: Über alle Kanäle suggerieren sie, die Unterrichtsversorgung sei besser als je zuvor. So zum Beispiel in einem Schreiben der Schulämter und Oberschulämter zu Beginn dieses Schuljahres an alle Elternbeiräte und Schulleitungen. 1.790 neue Lehrerstellen seien eingerichtet worden und in diesem Umfang finde zusätzlicher Unterricht statt. Von wegen! Viele dieser so genannten neuen Lehrer sind gar nicht zusätzlich neu an die Schulen gekommen. Im Gegenteil: Viele waren bereits letztes Jahr im Einsatz – zum Beispiel als Krankheitsvertretung. Wer letztes Jahr schon an der Schule war und jetzt dieses Jahr wieder da ist, der ist jetzt vielleicht wieder da, aber ganz sicher nicht neu an der Schule, Frau Schavan.

Die Klassen werden immer größer!
 

Die Schülerzahlen steigen weiter! An den Grundschulen hat Baden-Württemberg jetzt schon die schlechteste Schüler-Lehrer-Relation aller Bundesländer. Im neuen Schuljahr sind die Klassen vielerorts zum Bersten voll. Vor Ort heißt es, dass es sich um einen Einzelfall handelt. Tatsache ist aber: Die Klassen an den weiterführenden Schulen werden im Land durchschnittlich um 10 Prozent größer. Auch an vielen Grundschulen verschärft sich die Situation, weil aufgrund einer völlig falschen Schul- und Personalpolitik nicht genügend Lehrkräfte vorhanden sind.

Sie sehen, von Ihren vollmundigen Ankündigungen bleiben nur die Worthülsen übrig. Wieder einmal!

Wenn Sie es nicht glauben wollen, hier ein Beispiel hier aus der Umgebung:

Da schreiben Schüler vom Albert-Schweitzer-Gymnasium hier aus Gundelfingen im Breisgau an die SPD-Fraktion. Ich zitiere wörtlich. „Aus vier kleinen Klassen mit durchschnittlich 24 Schülern, in denen unsere Lehrer die neuen Lehrmethoden gut anwenden konnten, werden auf Anweisung des Oberschulamts drei Riesenklassen mit jeweils 32 Schülern. Diese Zusammenlegung führt dazu, dass zum Teil in den Fachräumen der Schule nicht genügend Platz vorhanden ist. So haben im Chemiesaal nicht alle Schüler des naturwissenschaftlichen Profils Platz zum Sitzen.“

Das ist das Ergebnis Ihrer Schulpolitik – ganz praxisorientiert. Man stelle sich nur mal vor, der Herr Ministerpräsident würde die Anzahl der Regierungsmitglieder so vergrößern, dass Sie da drüben keinen Sitzplatz mehr hätten. Bin gespannt, ob Sie es schaffen würden, auch das noch als einen Erfolg ihrer Politik zu verkaufen.

Herzlichen Dank!

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