Sehr geehrter Herr Kollege Röhm,
wie Sie sicherlich wissen, entscheidet der baden-württembergische Landtag am Donnerstag dieser Woche über die flächendeckende, verbindliche Einführung des achtjährigen Gymnasiums zum Schuljahr 2004/05. Ich wende mich heute an Sie mit der Bitte, am Donnerstag im Plenum für den Änderungsantrag der SPD-Fraktion zu stimmen. Dieser Antrag sieht vor, Schulen und Schulträgern für die Einführung des achtjährigen Gymnasiums Spielraum bis zum Schuljahr 2007/08 zu geben.
Gestern erst haben in Hechingen Eltern, Bürgermeister und Personalvertretung sowie Schülerinnen und Schüler enorme Bedenken gegen die flächendeckende Einführung des achtjährigen Gymnasiums zum Schuljahr 2004/05 geäußert. Ihnen dürfte nicht entgangen sein, dass sich allein in Hechingen nahezu die komplette Elternschaft an einer Protestaktion gegen G8 zum Schuljahr 2004/05 beteiligt haben und selbst Vertreter der Stadt öffentlich mehr Flexibilität beim Einführungszeitpunkt fordern. Seit Jahren hat es in unserem Wahlkreis keine solch massiven Proteste gegeben wie bei der geplanten Einführung von G8, die in der Tat als völlig unausgegoren zu bezeichnen ist.
Anders ist wohl auch kaum zu erklären, dass es eine breite Allianz gegen die Pläne der von Ihnen mitgetragenen Landesregierung gibt: Der Landeselternbeirat, der Landesschulbeirat, der Landesschülerbeirat, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Philologenverband, der Landkreistag (!), der Gemeindetag und auch der Städtetag äußern Bedenken bzw. üben deutliche Kritik an der Einführung von G8 zum Schuljahr 2004/05.
Dazu kommt, dass die Lehrerinnen und Lehrer an Gymnasien – zu Recht – verärgert sind über die von Kultusministerin Schavan verordnete Deputatserhöhung. Zur enthusiastischen Trägerschaft der Gymnasialreform werden diese derzeit sicherlich nicht werden. Gerade die Lehrerinnen und Lehrer sind als Motoren der Reform aber wirklich notwendig.
Darüber hinaus liegen noch nicht einmal die neuen Bildungspläne für alle Klassenstufen von G8 vor. Was im Jahre 2012 passieren soll, wenn gleich zwei komplette Jahrgänge in die Hochschulen bzw. in die Ausbildung drängen, ist bislang völlig unklar.
Besonders ins Gewicht fallen dürfte aber angesichts der angespannten Haushaltslage des Landes das Argument, dass die flächendeckende Einführung des achtjährigen Gymnasiums zusätzlich 163 Deputate benötigt – pro Jahr, wohlgemerkt! Diese Ressourcen könnten wir meiner Meinung nach besser für andere Maßnahmen verwenden: Beispielsweise für den Aufbau eines Netzes an Ganztagsschulen, eine wirksame Reduzierung des Unterrichtsausfalls auch in unserem Wahlkreis oder auch für mehr Eingangsklassen an den Beruflichen Schulen. Die Frage, ob alle Interessenten zum kommenden Schuljahr angesichts der enormen Bewerberzahl und der geringen Zuweisung an Lehrkräften aus dem Ministerium einen Platz erhalten, ist offen und treibt viele Eltern und Lehrer in unserem Kreis um.
All diese Gründe sprechen meines Erachtens dafür, den Schulen mehr Spielraum bei der Einführung von G8 zu lassen. Ich appelliere als Ihr SPD-Wahlkreiskollege im Landtag an Sie, Ihre bisherige Position nochmals zu überdenken, sich die in unserem gemeinsamen Wahlkreis massenhaft geäußerten Bedenken zu eigen zu machen und am Donnerstag bei der Abstimmung im Landtag für eine flexible Einführungsphase beim achtjährigen Gymnasium zu stimmen.
Auf Ihre Antwort freue ich mich,
mit freundlichen Grüßen