Klaus Käppelers Redebeitrag zur Änderung des Schulgesetzes – Werkrealschule

Herr Präsident, / Frau Präsidentin,

meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!

Die Zukunft der Werkrealschule beschäftigt das Hohe Haus nicht erst mit der von der Kultusministerin vorgestellten Gesetzesänderung. Erst am 13. Oktober diesen Jahres haben wir intensiv über den gleichlautenden Antrag der FDP/DVP Fraktion beraten.

Wie hat der Städtetag in seiner Stellungnahme zu unserer Gesetzesvorlage trefflich formuliert:

„Keine andere Schulart ist in den letzten Jahrzehnten auch nur annähernd so oft und grundlegend mit Änderungen konfrontiert worden, wie die Hauptschule und mit ihr die Werkrealschule.“ Wenn an anderer Stelle deshalb von Reformitis gesprochen wird – was sich anhört wie eine Krankheit – dann sage ich Ihnen, warum alle Ihre unterschiedlichen Ansätze zur Heilung gescheitert sind: Ihre Diagnose ist falsch! Die Krankheit besteht darin, dass alle Kinder nach der 4. Klasse getrennt werden, dass noch immer der Glauben vorherrscht, dass die besten Bildungserfolge in möglichst homogenen Gruppen erzielt werden.

Ich möchte nicht alles wiederholen, was ich in der letzten Debatte über die früheren Rettungsversuche an der Hauptschule gesagt habe.

Aber eines ist mir schon wichtig festzuhalten: Dass heute nur noch zwei Prozent der Eltern für ihre Kinder die Schulart Hauptschule bzw. Werkrealschule bewusst auswählen, zeigt das Dilemma, in dem sich all diejenigen befinden, die krampfhaft an der Dreigliedrigkeit festhalten. Ihre frühere Vordenkerin Annette Schavan hat dies erkannt. Sie, sehr geehrte Damen und Herren von CDU und FDP werden dies auch noch erkennen. Erkenntnisgewinn tut manchmal weh, besonders wenn man in kurzer Zeit in verschiedensten Politikfeldern Kehrtwendungen vollziehen muss.

An diesen Fakten kommen Sie nicht vorbei, auch wenn Sie keine Gelegenheit auslassen, den Bildungsaufbruch der grün-roten Landesregierung dafür verantwortlich zu machen.

Wissen Sie, was daran besonders bitter ist: Das außergewöhnliche Engagement von vielen Lehrerinnen und Lehrern, Eltern, Schulleitungen und Bildungspartnern konnte die Akzeptanz der Hauptschulen und Werkrealschulen nicht steigern. Im Gegenteil. Diese Schulen haben ein tolles Profil. Sie begleiten ihre Schülerinnen und Schüler individuell. Sie bringen sie nach vorbildlicher Berufsvorbereitung direkt im Beruf oder in weiterführenden beruflichen Schulen unter. Trotzdem finden sie keinen Zuspruch. Die Eltern sehen das Heil ihrer Kinder nur in der nächsten Realschule oder im Gymnasium.

Mit der vorliegenden Gesetzesänderung wollen und können wir nicht das korrigieren, was sich über Jahre hinweg entwickelt hat und was auch die Erfindung der „Werkrealschule Neu“ nicht aufhalten konnte: Den Trend zu einem höherwertigen Bildungsabschluss – wobei das Wort „höherwertig“ durchaus kritisch zu hinterfragen ist!
Deswegen – und auch wegen der weiter zurückgehenden Schülerzahlen werden in den kommenden Jahren weitere Hauptschulen und Werkrealschulen ihre Pforten schließen. Denn die „Abstimmung mit den Füßen“ geht weiter.

Wenn nun im kommenden Jahr auch einzügige Hauptschulen ein zehntes Schuljahr anbieten dürfen, so kann dies zu einer Stabilisierung der Situation vor Ort führen. Dies revidiert die unsägliche Einführung der Werkrealschule Neu und stellt fast den alten Zustand wieder her. Weil sie von Schülern wie auch von Lehrern positiv aufgenommen wurden, behalten wir die Wahlpflichtfächer in Klasse 8 und 9 und führen sie auch in Klasse 10 weiter.

Der Wegfall der Notenhürde und die Möglichkeit, erst am Ende der 10. Klasse den Hauptschulabschluss zu machen, eröffnet den Schulen die Möglichkeit, die Jugendlichen so lange zu begleiten, bis sie – ihrem Lerntempo angepasst – ausbildungsreif sind. Der Hauptschulabschluss der zwei Geschwindigkeiten kommt insbesondere den schwächeren Schülern zugute, denn diese brauchen mehr Zeit. Denn das ist es, was unsere Kinder in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft benötigen: „Zeit“. Übrigens auch eine gute Option für Schüler aus der Förderschule, die auch länger brauchen, um den Hauptschulabschluss zu erreichen.

An dieser Stelle möchte ich nicht verhehlen, dass ich mich persönlich – und mit mir viele Kolleginnen und Kollegen – mit der Einführung der Werkrealschule, des 10. Schuljahres und des Mittleren Bildungsabschlusses Mitte der neunziger Jahre schwer getan habe. Die Akzeptanz dafür hat gefehlt, viele Schülerinnen und Schüler haben den bewährten Weg über eine zweijährige Berufsfachschule zur Mittleren Reife gewählt oder sind direkt in den Beruf eingestiegen.

Die wenigen Standorte mit 10. Schuljahr mussten immer bangen, genügend Schülerinnen und Schüler für eine 10. Klasse zusammen zu bekommen. Wenn dies nicht gelang, wechselten diese Schüler für ein einziges weiteres Jahr an eine fremde Schule. Dort haben sie sich angestrengt und häufig einen ordentlichen Werkrealschulabschluss erreicht.

Das Suggerieren der Vergleichbarkeit des Realschulabschlusses und des Werkrealschulabschlusses hat dann aber zu Irritationen geführt, verursacht durch bewusste oder unbewusste Irreführung: Die Abschlüsse sind gleichwertig, aber nicht gleichartig – oder ist es anders herum: gleichartig , aber nicht gleichwertig?

Ihre letzte Novelle der Hauptschule und Werkrealschule hatte zum Ziel, dass 50 % der Hauptschüler in ein 10. Schuljahr wechseln. Diese Annahme lag ebenso daneben wie schon 15 Jahre zuvor bei der Einführung der Werkrealschule. Gerade mal 17% der Neuntklässler landesweit entschieden sich 2010 / 2011 für die Werkrealschule. Ob sich dies nun ändert wissen wir nicht. Aber ich bin sicher, dass sich einige dieser Schulen auch auf den Weg machen, Gemeinschaftsschulen zu werden. Dort werden Kinder nicht ausgegrenzt und stigmatisiert, sondern dürfen sich ihrem Lerntempo und ihren Fähigkeiten entsprechend unterschiedlich entwickeln.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich finde, Sie machen es sich zu leicht, wenn Sie uns für Ihre Bildungspolitik der vergangenen Jahrzehnte verantwortlich machen wollen! Dass seit Jahren die Übergangszahlen in die Hauptschule schrumpfen und deswegen Schulstandorte aufgeben werden müssen, ist nicht das Verschulden der früheren Oppositions– und heutigen Regierungsfraktionen.

Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich aus dem Plenarprotokoll vom 13.Oktober 2011, dort argumentierten Sie, Herr Kollege Müller so:

„Jahrelang wurden die Hauptschule und die Werkrealschule schlechtgeredet, um sozusagen das Feld für diese Transformation vorzubereiten. … Sie halten diese Schule für dem Untergang geweiht und wollen sie nach der verbalen Demontage real demontieren.“ Ich finde, das ist ganz schön starker Tobak und klingt nach Reparationszahlungen nach dem ersten Weltkrieg.

Ich lade Sie gerne mal in meine Grund- und Hauptschule nach Hohenstein ein. Oder reden Sie mal mit dem stellvertretenden Präsidenten der IHK Reutlingen über meine Schule, der kennt sie auch: Wir reden die Hauptschule nicht schlecht, im Gegenteil: Bei uns wechselten bis zum vergangenen Jahr regelmäßig rund 30% der Viertklässler in die Hauptschule. Wir haben Ihre Zielvorgabe erreicht.

Also: Was werfen Sie mir vor?

Nun ist dieses Übergangsverhalten nicht überall so. Wenn in Tübingen nur noch 8 % der Viertklässler in die Hauptschule wechseln, spiegelt sich darin das Misstrauen, das dieser Schulart entgegengebracht wird. Denn Sie haben jahrelang am Willen der Eltern vorbei regiert. Auch dafür haben Sie am 27. März die Quittung erhalten.

Klaus Käppelers Redebeitrag zur Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung

Herr Präsident, / Frau Präsidentin,

meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!

Wer diese Debatte zur Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung verfolgt, dem erschließt sich deutlich, welche Art der Bildungspolitik in den vergangenen bald 60 Jahren in diesem Land vorgeherrscht hat: Unter dem Deckmantel, das Beste FÜR die Kinder zu wollen, haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, stets alles daran gesetzt, das Beste VON den Kindern zu bekommen. Kinder wurden in Ihrem System von Beginn an als reines Investitionsgut behandelt. Investitionsgut, das am Ende schlicht zum wirtschaftlichen Erfolg dieses Landes beitragen soll. Ich erinnere an G8 oder an das immer frühere Einschulen den Kinder!

Das Gesetz zur Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung wird mit dieser einseitigen Wahrnehmung Schluss machen.
Und daher stellt der heutige Tag, der 7. Dezember 2011, einen ersten Schritt in die Richtung einer neuen Bildungspolitik dar. Auch wenn Ihnen das nicht gefällt!
Eine Bildungspolitik, die das ganze Kind im Blick hat und die vor allem die Eltern mit in die Verantwortung nimmt. Und Sie können sicher sein, dass die Eltern sich dieser Verantwortung durchaus bewusst sind, denn Verantwortung heißt auch Mitbestimmung und Entscheidungsfreiheit – nicht nur Kuchen backen!

Lieber Herr Wacker, Sie plagen uns ein ums andere Mal mit dem Einwand, dass ja auch bislang der Elternwille berücksichtigt werde. Durch den Wegfall der Grundschulempfehlung – so Ihre Argumentation – würde sich also eigentlich nichts Wesentliches ändern. Wenn dem so ist, und es ändert sich nichts, dann frage ich Sie: Weshalb können wir die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung dann im Umkehrschluss nicht auch abschaffen?

Die Antwort darauf haben Sie uns schon mehrfach geliefert: Sie wollen bestimmte Kinder eben nicht in den Realschulen oder auf den Gymnasien sehen. Genau wie die Eltern der Gymnasiasten in Hamburg haben Sie geradezu panische Angst davor, dass durch die Durchmischung dieser Schularten das Niveau sinken könnte. Die Schülerinnen und Schüler aus den besseren Familien sollen doch lieber unter sich bleiben. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich sage Ihnen, das Gegenteil ist der Fall!

Rufen Sie sich doch nur in Erinnerung, wodurch sich die PISA-Siegerländer seinerzeit maßgeblich von unserem Schulsystem unterschieden haben. Durch das längere gemeinsame Lernen ALLER Schüler – also stärkerer und schwächerer. PISA zeigte anschaulich, dass hier nicht etwa die Stärkeren ausgebremst und am Lernen gehindert werden, sondern dass die Schwächeren von dieser Durchmischung profitieren. Sie erzielen deutlich bessere Leistungen als in jenen Ländern, in welchen sie unter ihresgleichen bleiben. Dieses vorbildliche Beispiel hat sich übrigens vor einigen Jahren der gesamte Bildungsausschuss des Landtags in Finnland und Kanada angeschaut und Sie, Herr Wacker, wenn ich mich richtig erinnere, waren auch mit von der Partie. Nur, um dann in die Heimat zurückzukehren und dennoch so weiter zu machen wie bisher. Weil es eben immer schon so war.

Und an dieser Stelle sind wir an einem weiteren wichtigen Punkt angelangt: Der sozialen Gerechtigkeit. Nachdem Sie so oft und gerne empirische Studien zitieren, darf ich Sie daran erinnern, was die IGLU-Studie zu Tage gefördert hat. Hier wird deutliche Kritik an der verbindlichen Grundschulempfehlung laut. Und warum? Weil – ich zitiere – „Kinder von Arbeitern bei gemessener gleicher Leistung seltener eine Empfehlung fürs Gymnasium oder die Realschule bekommen als ihre Altersgenossen mit Eltern aus der sogenannten oberen Dienstklasse“. Soviel zu Ihrer vielgepriesenen Stufe II im Verfahren der verbindlichen Grundschulempfehlung, bei welcher der Elternwille scheinbar ach so große Beachtung findet.

In wenigen Worten möchte ich auch noch auf den Vorschlag von Herrn Kern eingehen, das bestehende Verfahren nicht abzuschaffen, sondern zu verbessern. Dazu, Herr Kern, kann ich nur sagen: Die Zeit der faulen Kompromisse ist endgültig vorbei. Bestehendem nur einen neuen Anstrich zu verleihen, das war die Methode Ihrer Regierungszeit. Wir jedoch scheuen uns nicht davor, beim Namen zu nennen, was bislang schief läuft und die Konsequenz daraus zu ziehen. Die Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung ist eine mehr als notwendige Konsequenz.

Vielen Dank!