Frau Präsidentin,
meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen,
dies ist nicht die erste Schulgesetzänderung, die diese Landesregierung vollzieht. Und doch ist der heutige Tag ein ganz besonderer: Mit der Einbringung des heutigen Gesetzentwurfes wird die Sonderschulpflicht in Baden-Württemberg schon bald der Geschichte angehören. Mädchen und Jungen in unserem Bundesland werden die allgemeine Schule besuchen dürfen, auch wenn sie einen Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot haben. Sie werden nicht mehr länger aussortiert, wenn sie dies nicht wollen. Und wenn sie – oder ihre Eltern – sich doch für mehr Schonraum entscheiden und auch künftig lieber die Sonderschule besuchen, dann wird auch das möglich sein.
Die schulische Inklusion ist ein sehr wichtiger Bestandteil des Aktionsplans Inklusion. Diesen hat unsere Sozialministerin Katrin Altpeter bereits in der vergangenen Woche vorgestellt.
An dieser Stelle und gleich zu Beginn möchte ich all jenen danken, die mit ganzer Kraft und Überzeugung für dieses Gesetz gearbeitet, beinahe möchte ich sagen gekämpft haben: Zuvorderst unserem Kultusminister Andreas Stoch und dem SPD-Landesvorsitzenden und Finanzminister Nils Schmid. Der ehemaligen Stabsstelle im Kultusministerium, namentlich Norbert Zeller und Daniel Hager-Mann. Norbert Zeller war Inklusion ein Leben lang ein Herzensanliegen – persönlich und beruflich. Danke auch an Sönke Asmussen, Referatsleiter Sonderschulen und dem Chefjuristen des Kultusministeriums, Felix Ebert. Ganz besonders danke ich dem Behindertenbeauftragten des Landes Gerd Weimer, der für den Inklusionsgedanken geradezu brennt. Danken möchte ich auch den Mitstreitern im Staatlichen Schulamt Tübingen und den Sonderschulen in meinem Umfeld für ihre konstruktive Begleitung in den vergangenen Jahren. Last but not least danke ich schließlich unserem Koalitionspartner für die zielführende Zusammenarbeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz ist ein Meilenstein in der Schulgeschichte unseres Bundeslandes. Und es macht mich stolz, dass ich als Mitglied einer Regierungsfraktion daran mitwirken durfte.
Es ist ein Meilenstein, auch weil damit mehr verbunden ist als die bloße Änderung des Schulgesetzes. Es ist ein Signal, das weit über den Bildungsbereich hinausgeht. Denn Inklusion ist eine Aufgabe für alle. Inklusion bedeutet, Berührungsängste abzubauen, alte Denkschablonen abzulegen, sich öffnen für Neues. Und es ist nicht der Endpunkt einer äußerst komplexen und in Teilen kontroversen Debatte um die Herausforderungen und Ansprüche an ein inklusives Schulsystem. Es ist ein erster notwendiger, rechtlicher Schritt, der nun mit Leben gefüllt sein will.
Es sollte jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass wir erst am Anfang stehen. Nicht nur in den Modellregionen sondern im ganzen Land kommen Schulleitungen und mit ihnen die Lehrerinnen und Lehrer schon seit langem den Wünschen nach inklusiven Bildungsangeboten nach. Sie suchen pragmatische, unbürokratische Lösungen und sind gleichsam Pioniere der Inklusion. Durch das heute eingebrachte Gesetz wird dieses Tun gleichsam legalisiert und bekommt einen verbindlichen Rahmen, der größere Handlungsspielräume ermöglicht.
Wie kontrovers die Debatte bisweilen geführt wurde, zeigen die Positionen an beiden Enden des Inklusionsgedankens: Da steht auf der einen Seite der Philologenverband, der eine zieldifferente Beschulung am Gymnasium generell in Frage stellt. Demgegenüber positioniert sich beispielsweise die Elterninitiative Gemeinsam Leben – Gemeinsam Lernen mit ihrer Maximalforderung nach einer vollständigen Abschaffung des Sonderschulwesens. Doch wer mit Extremen hantiert, erweist dem Inklusionsgedanken einen Bärendienst: Niemals werden wir alle Kinder über einen Kamm scheren können.
Inklusion ist eine Aufgabe für ALLE Schularten! Wir möchten, dass alle Schulen sich von dieser gesellschaftspolitischen Frage angesprochen fühlen und nicht nur wenige Schwerpunktschulen die alleinige Verantwortung übernehmen. Ich kann es nachvollziehen, wenn für viele Schulen und Schulträger der Respekt vor dieser Aufgabe enorm ist. Dennoch möchte ich sie alle ermutigen, sich mit Inklusion zu beschäftigen, vor allem die Schulleitungen und die Lehrerinnen und Lehrer.
Letztere sind jene, die den Inklusionsgedanken Tag für Tag umsetzen und leben. Ich verspreche Ihnen, wir lassen Sie mit dieser großen Aufgabe nicht allein. Und ich bin sicher, dass durch die Reform der Lehrerbildung die Akzeptanz und das Selbstverständnis gegenüber diesem Thema wachsen werden.
Die Erfahrungen an meiner eigenen Schule bestärken mich darin: Als vor einigen Jahren die ersten Kinder mit Inklusionsbedarf bei uns anklopften, standen meine Kolleginnen und Kollegen dieser Aufgabe noch mit großem Respekt und eher skeptisch gegenüber. Gemeinsam mit der Förderschule und dem Staatlichen Schulamt haben wir dann aber nach Lösungen gesucht, wie Inklusion gelingen kann. An Assistenten und Sonderpädagogen im Unterricht mussten sie sich erst gewöhnen, stellten dann aber den Mehrwert für alle Kinder fest. Heute sind die Lehrerinnen und Lehrer nicht nur an meiner, sondern an vielen Schulen davon überzeugt, dass es nur diesen Schritt in die Zukunft, den Schritt in ein inklusives Schulwesen geben kann. Die Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf sind keine Last für die Klassen, sie sind eine Bereicherung.
Spätestens seit dem von der letzten Landesregierung eingeführten Schulversuch zur Inklusion wissen wir, dass es Inklusion aber nicht zum Nulltarif geben kann. Insofern bin ich der CDU für den Schulversuch beinahe „dankbar“: Er hat unmissverständlich vor Augen geführt, dass der Wunsch nach Inklusion mehr Personal und mittelfristig auch mehr Sach- und Investitionsmittel erfordert!
Den Inklusionsgedanken, der seitens der CDU-geführten Landesregierung vorherrschte, kann ich jedoch nur in Ansätzen nachvollziehen. Für uns ist es keine Frage, dass die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zum Klassenteiler zählen!
Wir sehen auch die Notwendigkeit, zusätzliche Lehrkräfte einzustellen – das haben Sie schon von Minister Stoch gehört. In diesem Jahr waren es für die Umsetzung bereits 200 zusätzliche Stellen. In den kommenden Jahren werden weitere 200 pro Jahr hinzukommen und fortfolgend die Zahl weiter steigen.
Inklusion kann jedoch nicht gelingen, ein Inklusionsgesetz nicht verabschiedet werden ohne den Schulterschluss mit der kommunalen Seite. Einmal mehr ist es unserem Kultusminister gelungen, hier eine gemeinsame Grundlage zu erarbeiten: Nach der Regionalen Schulentwicklung und der Ganztagsschule nun die Inklusion. Andreas Stoch hat dies mit den Kommunalen Landesverbänden in nur wenigen Monaten geschafft – allerdings in harten Verhandlungen.
Bis zu 100 Millionen stellt das Land den Kommunen zunächst als Ersatzleistung für die kommenden Jahre in Aussicht. Sollte die Praxis zeigen, dass diese Mittel nicht ausreichen, ist ein weiterer Zuschlag bereits vereinbart. Für den Schulbau gilt Konnexität. Für die übrigen Felder wie Schülerbeförderung oder Eingliederungshilfe gilt die Zusage des Landes, dass bei einer Abweichung von mehr als 10 Prozent gegenüber den Ansätzen nachverhandelt werden kann.
An die Adresse der Schulträger sei gerichtet: Nicht an jeder Schule müssen bauliche Voraussetzungen für Inklusion geschaffen werden. Begleitung und ggf. Assistenz werden wir den Schulen jedoch nach Bedarf an die Hand geben, damit Inklusion gelingen kann.
Noch kann Niemand ganz genau sagen, wie sich die Inklusion im Land entwickeln wird. Diese Entwicklung ist maßgeblich verknüpft mit der Nachfrage nach inklusiven Schulangeboten seitens der Eltern. Im Schnitt zeigen die Modellregionen einen Wert von 28% aller Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Die Zukunft wird zeigen, ob dieser Wert der Realität entspricht. Angesichts dieser Unsicherheit ist es deshalb klug, die weitere Entwicklung zu evaluieren und 2018/19 Bilanz über erforderliche Nachbesserungen zu ziehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend will ich Ihnen verraten, dass es ein CDU-Abgeordneter war, der mir mit zwei Sätzen aus der Seele sprach. Hubert Hüppe – ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für Menschen mit Behinderung – Hubert Hüppe stellte unmissverständlich fest:
"Wer Inklusion will, sucht Wege. Wer sie nicht will, sucht Begründungen.“
Ich würde mir sehr wünschen, dass Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition, sich ein Herz fassen und in der zweiten Lesung mit uns für dieses Gesetz stimmen. Die Welt bleibt nicht stehen, sie dreht sich weiter und all die Mädchen und Jungen mit Behinderung gehören in die Mitte dieser Gesellschaft – nicht an ihren Rand!
Vielen Dank!