Nominierung des SPD – Landtagskandidaten im Wahlkreis 61 Hechingen-Münsingen
am Freitag, 02. Oktober 2020
Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freunde!
Ich freue mich sehr, dass Ihr alle hierher nach Hohenstein gekommen seid – trotz der großen Verunsicherung, die die Corona-Pandemie ausgelöst hat und trotz der aktuell steigenden Fallzahlen. Heutzutage muss man froh sein, überhaupt noch Räume vermietet zu bekommen, deswegen an dieser Stelle mein ganz persönlicher Dank an die Gemeinde Hohenstein und dir, lieber Jochen.
Als ich 1954 in Nesselwangen, einem 250 Seelen Dorf nahe Überlingen am Bodensee auf die Welt kam, war mir mein zukünftiges Leben nicht in die Wiege gelegt. Der Alltag im Nachkriegsdeutschland auf dem heruntergekommenen Bauernhof war bestimmt von harter, körperlicher Arbeit, vor der auch meine Geschwister und ich nicht verschont wurden. Wenn ich durch das Bauernhausmuseum in Ödenwaldstetten gehe, erinnern mich viele Gerätschaften an meine Kindheit und Jugendzeit. Mein Vater hat noch mit Pferden die Felder bestellt und meine Mutter bis in die 80er Jahre selbst Butter gemacht. Während die Kameraden im Sommer zum Schwimmen an den Bodensee fuhren, mussten wir das Heu einfahren, Garben binden, Stroh dreschen und im Herbst Kartoffel lesen oder Obst ernten. Diese Arbeit wurde nicht weniger, als das Einkommen nicht mehr ausreichte, mein Vater sich als Bauarbeiter verdingte und die Landwirtschaft im Nebenerwerb betrieben wurde.
Wenn heute Menschen und auch Parteien uns erzählen, dass die Zukunft der Landwirtschaft so aussieht wie die Vergangenheit, dann sage ich: Dieses Leben wollte ich meinen Kindern nicht zumuten und auch nicht meinem Enkelkind.
Auch das Wirtschaftswunder ging an uns nicht ganz vorbei: Ein Traktor wurde gekauft, die Gebäude nach und nach saniert, irgendwann kam ein Auto und endlich 1972 rechtzeitig zur Olympiade ein Fernseher.
Für mich aber entscheidend: Meine Eltern ermöglichten mir nach der Volksschule zunächst den Besuch der Mittelschule und dann den Wechsel ins Gymnasium. Dafür haben sie geschuftet und auf sehr viel verzichtet. Um selbst etwas Geld zu haben, bin ich morgens um 5 Uhr aufgestanden und habe vor der Schule die Zeitung im Dorf ausgetragen. Beim Förster hatte ich einen Ferienjob als Waldarbeiter.
1972 wurde Willy Brandt Bundeskanzler. Unter ihm wurde das Bafög eingeführt und ich erhielt in der 12. und 13 Klasse, später auch im Studium eine finanzielle Unterstützung, die es mir ermöglichte, Lehrer zu werden.
Spätestens da habe ich verstanden, dass Politik auch soziale Ungerechtigkeiten und unterschiedliche Bildungschancen ausgleichen kann und muss. Die Partei, die dies energisch anging, war die SPD.
Ich bin froh und dankbar, dass ich 5 Jahre in einer Regierungsfraktion eng zusammen mit unserem damaligen Kultusminister Andreas Stoch einige Projekte umsetzen durfte, die immer darauf ausgerichtet waren, gleichwertige Bildungschancen für alle Schichten anzustreben: Gemeinschaftsschule, Ganztagesschule, Inklusion.
Mein Elternhaus war streng katholisch, die Volksvertreter wurden respektiert, zumindest solange sie von der CDU waren. Die Gründe für die Studentenrevolte, die 68 Generation, das Aufbegehren gegen den Obrigkeitsstaat haben meine Eltern abgelehnt – mich aber beeinflusst. Ich habe verstanden, was „Demokratie wagen“ bedeutet, dass die Verteilung von Macht und Besitz nicht gottgegeben ist, dass Staatsdiener keine Herrenmenschen, sondern Dienstleister – und Politiker nicht „die von da oben“ sein sollten. Ich habe mich nie als „etwas Besseres“ gehalten. Und ich kenne viele Kolleginnen und Kollegen – auch aus anderer Parteien – wie auch z.B. Ramazan Selcuk oder Andreas Stoch, für die dasselbe gilt.
Mein Vater war 17 Jahre alt, als er Anfang 1945 in den Krieg ziehen musste. Er war 4 Jahre in französischer Kriegsgefangenschaft auf einem Bauernhof bei Dijon. Er wurde nicht schlecht behandelt, hat danach perfekt französisch gesprochen und seine erste kurze Urlaubsreise 1965 hat ihn zurück auf jenen Hof geführt. Zu den Besitzern dort hat er zeitlebens Kontakt und ein freundschaftliches Verhältnis gepflegt.
Ich bin froh und dankbar, dass ich keine Kriegszeit erleben musste, dass wir in Zwiefalten wie in vielen andern Städten und Gemeinden eine äußerst lebendige und intensive Partnerschaft haben – ein wichtiger Baustein für dauerhaften Frieden. Es ist schon etwas sehr Kostbares, wenn man in einem fremden Land zu Freunden kommt und dort sagen kann „ich bin hier zuhause!“
Vier Brüder meiner Mutter sind „im Krieg geblieben“ wie es damals hieß. Die Naziherrschaft und ihre Folgen waren in meiner Jugend ein Tabu–Thema. Im Geschichtsbuch im Gymnasium Anfang der 70er Jahre gab es zu den Themen „Judenverfolgung“, „Vernichtungslager“ und „Euthanasie“ einen kleinen mageren Abschnitt. Wir haben fast nichts erfahren. Erst nach und nach wurden die Gräuel und die Verbrechen ins öffentliche Bewusstsein gerückt.
Als der evangelische Pfarrer, unser Genosse Wilfried Nill in den 70 er Jahren in Zwiefalten Dokumente über Menschen zusammentrug, die in den Grauen Bussen nach Grafeneck transportiert und dort vergast wurden, ist ihm von konservativer Seite große Ablehnung entgegengeschlagen.
Es waren und sind Sozialdemokraten, die eine Erinnerungskultur geschaffen, die sich für die Errichtung eines Dokumentationszentrums in Grafeneck eingesetzt haben. Denn in der Naziherrschaft waren es neben vielen anderen Verfolgten unsere Genossinnen und Genossen, die verhaftet, gequält, erniedrigt und ermordet wurden. Ihr „Verbrechen“ war es, für Freiheit und Solidarität, für die Demokratie einzutreten. Ein besonderer Moment im vergangenen Jahr war es für mich, als wir unseren französischen Freunden zum allerersten Male überhaupt im Rahmen des Besuchsprogramm durch die Gedenkstätte führten und ihnen ein anderes – wenn auch vergangenes Deutschland zeigten. Die Reaktion des Bürgermeisters aus La Tessoualle daraufhin: „Uns war nicht bewusst, dass die Deutschen selbst die ersten Opfer des Naziregimes waren“.
Ich habe verstanden, dass man sich einmischen, dass man sich engagieren muss, damit so etwas wie der Nationalsozialismus „nie wieder“ möglich wird. Die mit Abstand einzige Partei, in der ich diese Gedanken und Ideen glaubhaft wiederfand, war und ist die SPD.
Wenn euch das jetzt zu viel Geschichte war, dann werft einen Blick auf heute – dann versteht ihr, warum es wichtig ist, sich zu erinnern:
Wir haben wieder Menschen in den Parlamenten, die offen unsere Staatsform ablehnen, die den Holocaust leugnen, die spalten, die wir als „Faschisten‘“ bezeichnen dürfen. Die mit ihren Äußerungen unsere Grundrechte mit Füßen treten, die politische Gegner ebenso verunglimpfen wie die Parlamente. Da drängen sich schon Vergleiche auf zu den Verhältnissen in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, als das Vorbild vieler AfD ler, als die NSDAP an die Macht kam, weil sich die bürgerlichen Parteien nicht entschieden genug dagegen stemmten oder auch klammheimliche Sympathie für einen „starken Mann“ hegten.
Liebe Genossinnen und Genossen,
im Rahmen der laufenden Haushaltsberatungen in Berlin werfen Konservative, Liberale und Grüne Bundesfinanzminister Olaf Scholz vor, zu viele Schulden zu machen. Die Gleichen, die sich mit Ihren Forderungen zur Abwendung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie noch vor wenigen Wochen gegenseitig übertrumpften. Und in diesem Zusammenhang wird auch immer wieder kritisiert, dass das Kurzarbeitergeld verlängert wurde. Denen möchte ich Folgendes sagen: Das Kurzarbeitergeld wurde 1927 auf Betreiben der Gewerkschaften und der SPD in der heutigen Form eingeführt, 1969 in der Großen Koalition fortgeschrieben. Was wäre nach der Wiedervereinigung, in der Finanzkrise 2008 / 2009 und jetzt in der Corona-Pandemie geschehen, wenn es dieses Instrument nicht gäbe. Schaut euch die Bilder in Amerika an, wo die Arbeiter nicht einen Bruchteil dessen bekommen wie bei uns. 21 Millionen Arbeitslose, in kürzester Zeit sind deren Reserven aufgebraucht. In den langen Schlangen der Suppenküchen stehen Menschen an, die Angst haben, demnächst ihre Existenz, ihr Eigenheim zu verlieren. Die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft in arm und reich wird weiter verschärft.
Die Sozialdemokratie ist Garant dafür, dass viele Familien bei uns vor solchen Zuständen verschont werden, dass die Betriebe ihre guten Fachkräfte halten können, dass Sozialpartnerschaft funktioniert. Auch deswegen hat Deutschland vergangene und aktuelle Krisen besser und sozial verträglicher gemeistert, als viele anderen Länder. Der Zusammenhalt kommt nicht von alleine, und die Demokratie muss sich immer wieder aufs Neue bewähren. Dafür stehe ich ein, dafür will ich kämpfen.
Liebe Genossinnen und Genossen,
Ich hätte mir nicht vorstellen können, das Amerika einen Präsidenten wählt, der die Verfassung mit Füßen tritt, der jeden Tag Lügen verbreitet, der sich seine eigene Welt erschafft, sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichert, der Fakten negiert, der das Pariser Klimaabkommen aufkündigt, der keine Steuern zahlt – und trotzdem womöglich wiedergewählt wird. Einen egozentrischen, hinterhältigen und widerwärtigen Menschen. Ich bin verärgert, ich bin fassungslos, ich bin ratlos. Was muss eigentlich noch alles geschehen, bis die Menschen aufwachen?
Und er findet immer mehr Nachahmer, Staatspräsidenten, die es ihm gleichtun. In Ländern, die einmal als Hort der Demokratie galten wie z.B. in Großbritannien, in jungen Demokratien des Ostens wie in Ungarn oder Polen. Wir sind auf dem Weg zurück in den Nationalismus – Ursache von Weltkriegen, von Not und Elend – besonders für die einfachen Leute.
Gemeinsam müssen wir mithelfen, diese Entwicklung zu stoppen. Ich möchte eine Antwort geben können, wenn mich meine Kinder eines Tages womöglich fragen: Was hast du dagegen getan?
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Gäste,
Unsere Ziele haben heute noch die gleiche Bedeutung und sind nach wie vor aktuell: Bildung, Zusammenhalt in der Bevölkerung, Toleranz und Solidarität auf dem Fundament des Grundrechtes.
Dass ich zwei Perioden unseren Wahlkreis im Landtag von Baden-Württemberg vertreten durfte, einmal davon in einer Regierungsfraktion, hat mich zutiefst erfüllt. Den zwei Wahlsiegen standen auch zwei bittere Niederlagen entgegen. Diese haben mich nicht geschwächt. Nach der ersten Niederlage bin ich 2007 Rektor geworden – diesen Beruf habe ich sehr gerne und mit großer Freude und Leidenschaft ausgeübt – auch nach der verlorenen Wahl 2016. Diese Niederlagen haben mich geerdet. Ich habe erfahren, was es bedeutet, dass man ein Mandat auf Zeit erhält.
Ja, und 2016 habe ich in der ersten großen Enttäuschung gegenüber einer Zeitung geäußert, dass ich nicht mehr kandidieren werde. Ich dachte nicht daran, dass man niemals „nie“ sagen sollte.
Anfang August habe ich – nach meiner Pensionierung – den Kreisvorstand darüber informiert, dass ich für eine erneute Kandidatur bereitstehe und dass ich mich erneut um die Nominierung zum Landtagskandidaten der SPD im Wahlkreis 61 bewerben will. Dies habe ich erst getan, nachdem mir meine Frau das „go“ gegeben hat – wofür ich ihr herzlich danke.
Der große Zuspruch nach dieser Ankündigung aus euren Reihen hat mich berührt und spornt mich an, weiterhin mein Bestes zu geben.
Der frühere OB von Metzingen, Dieter Hauswirth hat mich beim Neujahrsempfang der Stadt 2007 als „MdL a.D. und in spe“ begrüßt. Er hat Recht behalten. Mit eurer Zustimmung wäre ich gerne die nächsten Monate wieder als „MdL a.D. und in spe“ unterwegs und am liebsten würde ich das Mandat der AfD für unsere SPD zurückerobern.
Ich verspreche euch – Euer Vertrauen vorausgesetzt – in bewährter Manier mit euch zusammen in den Wahlkampf zu ziehen, meine ganze Kraft dafür einzusetzen, dass unser Wahlkreis wieder ein rotes Herz bekommt.
Ich bitte euch um eure Stimme und um das erneute Vertrauen.