Lieber Michael Bierlmeier,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Weber,
liebe Aktivisten von „Kinder brauchen Frieden“,
sehr geehrte Damen und Herren!
Gerne bin ich dem Wunsch von Michael Bierlmeier und Hubert Rapp nachgekommen, einige Sätze über die Kinder in bulgarischen Waisenheimen zu sagen.
Bevor ich dies aber tue, möchte ich Sie alle ganz herzlich von Frau Prof. Dr. Däubler-Gmelin grüßen – allen hier geläufiger als unsere „Herta“. Sie wäre gerne zu dieser Ausstellungseröffnung heute gekommen, hat aber schon lange beim Jahreskongress der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz in Kassel zugesagt. Sie ist dort – wie bei „Kinder brauchen Frieden“ – engagierte Schirmherrin.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
eigentlich wissen Sie alle bestens Bescheid über die Hilfsaktionen in bulgarischen Waisenhäusern. Ausführlich berichtet die Presse über die jährlichen Paketaktionen an den Samstagen in der Weihnachtszeit, über den Transport von Hilfsgütern nach Bulgariens, oder über weitere Aktionen von „Kinder brauchen Frieden“.
Aber lesen und erzählen ist eine Sache, erleben eine andere.
Nach meiner erfolgreichen Geburtstagsaktion „Spenden statt Geschenke“ vor zwei Jahren fragten mich Hubert Rapp und Michael Bierlmeier, ob ich nicht einmal selbst mit nach Bulgarien fahren wollte, um mir ein Bild von der Situation in den Waisenhäusern vor Ort und von der Durchführung der Hilfsaktion zu machen. Ich stimmte auch deshalb zu, um den Spendern authentisch berichten zu können und auch um zu sehen, wie das gespendete Geld verwendet wird. Diese Fahrt im Februar 2005 sollte für mich ein ganz eindrückliches Erlebnis werden.
Zusammen mit Karl-Heinz Göltl und Hubert Rapp flog ich im vergangenen Jahr am frühen Aschermittwoch morgen von Stuttgart nach Sofia. Dort wurden wir von Dr. Tumbev, dem Geschäftsführer des Roten Kreuzes abgeholt und mit dem Auto nach Veliko Tarnovo gebracht, eine gut dreistündige Fahrt in eine Stadt der Größe Reutlingens, im Zentrum von Bulgarien gelegen, genau in der Mitte zwischen Sofia im Westen und dem Schwarzen Meer im Osten.
Bereits auf der Fahrt und dann auch die kommenden Tage kämpften wir mit den für mich unerwarteten Temperaturen bis unter -20 Grad und dem Schnee. Ich war froh ob meiner Skiunterwäsche, denn auch in den Wohnungen war es unangenehm kalt. Kalle und Hubert klärten mich auf: es war zu dieser Jahreszeit fast immer ähnlich kalt.
Die folgenden Tage beschäftigten wir uns hauptsächlich mit der Verteilung der Lebensmittel und der Kleiderspenden. Dafür hatten wir einen kleinen LKW angemietet, auf den wir die jeweilige Menge an Mehl, Öl, Linsen, Reis, Gemüsedosen, Kakaopulver, Pudding, usw. verluden und in die Heime brachten. Für Kalle und Hubert war es jeweils ein Wiedersehen, begleiten und organisieren sie doch schon seit 10 Jahren diese Transporte. Im Kinderheim in Balwan konnten wir uns vom Fortschritt einer besonderen Maßnahme überzeugen, für die „Kinder-brauchen-Frieden“ eine Extra-Spendenaktion organisierte: die Renovierung von WC-Anlagen und Duschen standen kurz vor dem Abschluss.
Den Teil der nicht haltbaren Lebensmittel wie Fleisch und Milch kauften wir im Kaufhaus ein. Für rund 5000 Euro konnten wir, bei den vergleichsweise niedrigen Preisen, eine große Menge ordern, die durch das Kaufhaus direkt angeliefert wurde, wovon wir uns bei unseren Besuchen dann auch überzeugen konnten.
Den deprimierendsten Eindruck hinterließ das Heim in Mindja: Seit vielen Jahren war hier nichts geschehen, wurde nichts renoviert. Das Haus befand sich in einem desolaten Zustand, in den hohen Zimmern war es elendiglich kalt, durch die morschen Fenster pfiff der Wind herein und der kleine Holzofen wurde vermutlich nur für wenige Stunden in der Nacht angeheizt. Außer den jeweils rund 15 Feldbetten befand sich nichts in den einzelnen Zimmern. Allein in einem kleinen Aufenthaltsraum hielten sich die geistig behinderten Kinder auf, einziges „Spielzeug“ war ein Fernseher. Als wir das Vorratslager betraten, fanden wir nur noch keimende Kartoffeln und Zwiebeln vor, die das Rote Kreuz im Dezember anlieferte. Es fällt mir schwer, den Zustand im Heim zu beschreiben, denn er war menschenunwürdig. Allein der erbärmliche Zustand von WC und Duschen ließ einem abwechselnd das Blut in den Adern gefrieren und die Zornesröte ins Gesicht treiben.
Ich kann es nur begrüßen, dass dieses Heimes geschlossen wurde und hoffe, dass die Kinder in besseren Einrichtungen untergekommen sind.
Bei einem Abendessen mit Bischof Georgii II im Kloster St. Nikolaj erörterten wir die soziale Situation Bulgariens, aber auch die geschichtlich bedingte schwache Rolle der Kirche. Unerträglich – und für uns auch auf der Straße sichtbar – der krasse Gegensatz zwischen wenigen Reichen und vielen bettelarmen Menschen. Dass die Menschen Angst vor dem Beitritt zur EU im Jahr 2007 haben verwundert mich nicht: Sie befürchten höhere Preise und damit noch mehr Armut. Ich verstehe nur zu gut, dass sich immer mehr von ihnen in die Zeit des sog. Kommunismus zurücksehnen. 20 – 25 % Arbeitslosigkeit, der Durchschnittsverdienst eines berufstätigen Ehepaars bei rund 300 Euro, kaum Sozialhilfe, geringe Rente, eine desolate Infrastruktur, die Abwanderung von mehr als einer Million von hauptsächlich gut ausgebildeten jungen Leuten in die Länder des Westens usw. usw. machen ihnen Angst vor der Zukunft. Diese Angst wird geschürt durch ein Misstrauen in die Regierung und die allgegenwärtige Korruption im Land.
So steht fest, dass die Schwächsten der Gesellschaft – trotz der Bemühungen von Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz, aber auch von Erziehern und Sozialpädagogen – zu den Verlierern dieser Zeit gehören. Ich konnte mich persönlich davon überzeugen, dass das gespendete Geld gut und richtig verwendet und dringend benötigt wurde und wird. Und es wird sicher noch einige Jahre dauern, bis dieses Land keine Hilfe mehr braucht!
Auf der anderen Seite möchte ich aber auch von der überwältigenden Gastfreundschaft berichten, voll von Herzensgüte und Freude, die uns geradezu beschämte. So waren wir privat in den kleinen und engen Eigentumswohnungen in großen Plattenbauten untergebracht. Und auch wenn es im Treppenhaus kein Licht gab oder ich den vorsintflutlichen Lift nicht freiwillig benutzt hätte: Für unsere Freunde in Veliko Tarnovo war unser Besuch eine große Freude und entsprechend bewirteten sie uns, wissend, dass es das ganze Jahr über nichts Vergleichbares zum Essen gab.
Sehr geehrte Damen und Herren,
lassen Sie mich an dieser Stelle Dank sagen
– allen Spendern, die die Hilfstransporte ermöglichen,
– Michael Bierlmeier, der vor einigen Jahren völlig zu Recht zum Mann des Jahres der Südwestpresse gewählt wurde. Lieber Michael, ich bin überzeugt, dass man dir diese Auszeichnung Jahr für Jahr erneut überreichen könnte. Du bist wirklich ein besonderer Mensch mit besonderen Fähigkeiten und einer unglaublichen Überzeugungs- und Tatkraft.
Ein besonderer Dank auch allen Mitarbeitern der Bulgarien-Hilfe, namentlich möchte ich die Aktivisten Hubert Rapp, Karl-Heinz „Kalle“ Göltl und Werner Striezelberger erwähnen. Die ersten beiden habe ich kennen- und schätzen gelernt.
Lieber Hubert: Ich kann mir nicht vorstellen, dass du in deinem sehr erfolgreichen Berufsleben engagierter zur Sache gegangen bist, als wenn es um deine Kinder in Balwan und in den anderen Heimen geht. Du organisierst die Paketaktion an Weihnachten, du bist mit dem Stand von Kinder brauchen Frieden beim Tennisturnier und du bist immer wieder vor Ort in Veliko Tarnovo. Du kümmerst dich darum, dass die Spenden richtig ankommen, du knüpfst Kontakte zu Regierungsvertretern und den Verantwortlichen für die Heime. Kurz gesagt: Du bist da, wo die Musik spielt! Dabei gehst du keinem Problem aus dem Weg und redest mit den Beteiligten Klartext. Und nicht zuletzt du bist es, der Öffentlichkeitsarbeit betreibt, der Gutes tut und darüber berichtet und auch für diese Ausstellung verantwortlich zeigt. So ist eine sehr nachhaltige Hilfe entstanden. Ich hoffe, dass man meinen Worten sowohl Respekt als auch Bewunderung für dein leidenschaftliches Engagement entnehmen kann. Und wenn ein Rentner nun wirklich keine Zeit hat, dann bist du das!
Lieber Kalle: Dein Herz gehört den Waisenkindern, sie sind deine Familie. Auch du gehörst zu den Aktivisten des Vereins, ohne dessen Engagement die Bulgarienhilfe so nicht möglich gewesen wäre. Dich muss man nicht bitten. Wie oft warst du schon mit dem Bus für „Kinder brauchen Frieden“ kostenfrei unterwegs? Wer außer dir kann die Hilfsgüter besser fachgerecht verladen? Es wundert mich nicht, dass die Tochter deines früheren Chefs, Susanne Auwärter ohne lange zu zögern 10 000.-€ spendete. Das tut jemand nur, wenn er eine Hilfsaktion gut kennt, wenn sie transparent ist und wenn er bzw. sie sicher ist, dass das Geld komplett bei den Bedürftigen ankommt – selbst wenn er genügend davon hat. Ja Kalle: Du bringst die Notwendigkeit der Hilfe authentisch rüber, weil du dich mit Haut und Haaren identifizierst. Du bist begeisterungsfähig und niemand kann besser das persönliche Empfinden von Heimkindern nachvollziehen.
Lieber Hubert, lieber Kalle: Danke.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren!
Die Stadt Hechingen und die ganze Region dürfen stolz auf diese Frauen und Männer, auf „Kinder brauchen Frieden“ und auf die Bulgarienhilfe sein. Sie sind Ihre sozialen Botschafter in einer zwar globalisierten, aber deswegen nicht friedfertigen Welt und in einem zusammenwachsenden, aber immer noch von großen sozialen Unterschieden geprägten Europa. Dazu beglückwünsche ich Sie!