Klaus Käppelers Redebeitrag zur Bildungsdebatte im Baden-Württembergischen Landtag vom 13.10.2011

PLENUM   15. Sitzung, 13.10.2011  

 

7. a)  Antrag der Fraktion der FDP/DVP und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport
Zukunft der Werkrealschule
Drucksache 15/205

 

b)  Antrag der Fraktion der CDU und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport
Vorliegende Anträge auf Einrichtung der sogenannten Gemeinschaftsschule
Drucksache 15/356 (geänderte Fassung)

Frau Präsidentin,

meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!  

Seit über dreißig Jahren erlebe ich hautnah und persönlich als Lehrer und als Schulleiter alle Rettungsversuche für die Hauptschule.  In der Hauptschule wurde die Orientierung in Berufsfeldern eingeführt, lange bevor die Realschule mit BORS und das Gymnasium mit BOGY nachzogen. Die Projektprüfung erfuhr hier ebenso  ihre Feuertaufe wie die Fächerverbünde. Mit dem guten Start in der Hauptschule versucht man frustrierte Kinder zu motivieren.

Dabei hat die Akzeptanz dieser weiterführenden Schule immer weiter abgenommen. Wobei es da deutliche Unterschiede zwischen ländlich geprägten Hauptschulen und den sog. Brennpunktschulen in den Städten zu beobachten war.  

Mit der Einführung der Werkrealschule neuen Typs wollte die alte Landesregierung ein weiteres Mal etwas retten, was nicht zu retten ist: Nur noch drei Prozent der Eltern in der Grundschule wünschen sich nach der neuesten Allensbach-Studie für ihr Kind die Hauptschule. Mit der Maßgabe der Zweizügigkeit haben Sie das Ende der Hauptschule eingeläutet und die neue Werkrealschule als das Heil verkauft. Dabei hatte man den Eindruck, dass der damalige Finanzminister Bildungspolitik betrieben hat und nicht die Fachleute aus dem Ministerium. Sie haben kleine Hauptschulen gedrängt, ihre Selbständigkeit zugunsten eines Zusammenschlusses mit der Nachbarschule aufzugeben. Sie haben bewusst in Kauf genommen, dass kleine Hauptschulen im Ansehen weiter gelitten haben, weil sie die Werkrealschulen als die bessere Alternative propagiert haben.

Dabei waren gerade die Hauptschulen in den ländlich geprägten Gegenden durchaus erfolgreich. An meiner Schule beispielsweise haben in den vergangenen Jahren 70% der Schülerinnen und Schüler den Weg in die zweijährige Berufsfachschule genommen, in der sie eine Mittlere Reife erwarben, die eine hohe Akzeptanz in der Wirtschaft hat. Oder sie  fanden den direkten Einstieg in den Beruf.  

Mit der vorgesehenen Kooperation mit den Berufsfachschulen in der 10. Klasse haben Sie eine organisatorische Missgeburt gezeugt, die Gleichartiges noch nicht gesehen hat.

Vor zwei Jahren war ich zu einer Besprechung eingeladen, bei der das Staatliche Schulamt den Schulleitern von Haupt- und Werkrealschulen einerseits und Berufsschulen andererseits erklärte, wie dies zu organisieren sei. Ich spare mir die Bemerkungen der Betroffenen. Die Schulbehörden hatten jedenfalls Mühe, sich loyal zu verhalten, Kollegen waren fassungslos, Kopfschütteln allerseits.

Mich würde interessieren, wer Ihnen dieses Modell verkauft hat, dass die Klassenverbände aufgelöst und die Schüler zwei Tage an der Berufsfachschule, die anderen drei Tage  an der Werkrealschule unterrichtet werden sollten.  Ich habe jahrelang in den oberen Klassen der Hauptschule unterrichtet. Glauben Sie mir, diese Schülerinnen und Schüler brauchen den Klassenverband, brauchen einen Klassenlehrer als Bezugsperson, die möglichst viel in der Klasse und nahe bei den Schülern ist. Nur wenn der Lehrer oder die Lehrerin seine Schüler sehr gut kennt ist eine optimale individuelle Förderung möglich.

 „Der Verlust an pädagogisch kontinuierlichem Arbeiten ist aus Sicht der neuen Landesregierung nicht zumutbar“ heißt es in der Antwort auf Ihren Antrag. Glauben Sie mir, im Kollegenkreis wurde über diesen Plan nicht so höflich gesprochen.

Seien Sie froh, dass Sie die Verantwortung nicht mehr tragen und danken Sie uns, dass wir hier Korrekturen vornehmen – Sie ersparen sich damit Schmäh und Spott.  

Zu den vorliegenden Anträgen auf Einrichtung der sogenannten Gemeinschaftsschule:

Gemeinschaftsschule ist keine Schule, in der alle Kinder zu einem Einheitsbrei geschlagen werden und sie hat auch keine Einheitslehrer die – Ihrem Weltbild entsprechend – den Kampfbegriffen von Einheitsfront oder Einheitspartei entspricht! Die Gemeinschaftsschule zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie Unterschiede zulässt, fördert und so jedem Kind in seiner Verschiedenartigkeit gerecht wird. Ein hoher Anspruch, fürwahr – aber lohnt es sich nicht, dafür mal die Scheuklappen abzulegen, Neues zuzulassen. 

Ja wir haben diese neue Schulform so genannt, und wenn sie diese Schule noch so oft mit Apostroph versehen, als etwas Unanständiges, als etwas, was man am besten nicht anfasst.  

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Oppositionsbänken:

Einmal mehr werden Sie erkennen, dass der Bürgerwille mit Ihren verkrusteten und zementierten Vorstellungen nicht übereinstimmt:

Das Interesse an der Auftaktveranstaltung zur Gemeinschaftsschule in Ludwigsburg vergangene Woche war überwältigend. Und die Resonanz auf diese Veranstaltung ebenso, von Schulräten, Lehrern bis hin zu Bürgermeistern.

In der Begründung für Ihren Antrag formulieren Sie, dass „die Bürgerschaft auf ein differenziertes Bildungsangebot mit Haupt- und Werkrealschulen, Realschulen sowie Gymnasien verzichten muss“. Wenn Sie sich mit den Eckpunkten der Gemeinschaftsschulen auseinandergesetzt haben, dann wissen Sie, dass gerade die Bürger vor Ort, die Schulen und die Schulträger darüber entscheiden, ob sich eine ihrer Schulen auf den Weg macht, Gemeinschaftsschule zu werden.

Die Eltern müssen also auf nichts verzichten – im Gegenteil, ihnen werden neue Möglichkeiten eröffnet. 

Vor 10 Jahren noch haben Sie vehement die Ganztagesschule abgelehnt – und es hat lange gedauert, bis Sie den real existierenden Bedarf an Ganztagesbetreuung akzeptiert haben.

Noch heute verteidigen Sie ein selektives und sozial ungerechtes Schulsystem, als ob man Ihnen ein Heiligtum zerstören würde. Auch hier übergehen Sie die Meinung der Eltern, die sich von der Hauptschule abgewandt haben. 97 % sehen ihre Kinder in einer anderen Schule – einschließlich der Gemeinschaftsschule.

Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land lassen sich von Ihnen nicht vorschreiben, was für Ihre Kinder gut ist. Das bestimmen sie selbst. Und das ist gut so.

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